Höllentrip durch Berlin

Der erste Satz
Radek Malarczyk drehte die Flasche Rachmaninoff auf und nahm einen Schluck.

Krimi der Woche ∙ N° 48/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Radek Malarczyk ist ganz unten angekommen. Nachdem der polnische LKW-Fahrer in Berlin im Suff eine Velofahrerin totgefahren hat, gibt er sich ganz dem Wodka hin. Lebt in Kreuzberg in einem VW-Bus. Hier ist auch Maurice Jaenisch unterwegs. Der junge Berliner Postbote ist in einer Sektenfamilie aufgewachsen. Nachts fackelt er Autos ab; das erregt ihn sexuell. Einen Brandanschlag auf seine Bleibe überlebt Radek knapp. Und findet im Spital zu Gott. Zieht dann als „polnischer Messias“ predigend durch das Viertel.

Mit „Berlin Prepper“ (2019) und „Berlin Heat“ (2021) hat Johannes Groschupf Furore gemacht und sich in die erste Reihe der deutschsprachigen Krimiautoren gestellt. Sein dritter Thriller „Die Stunde der Hyänen“ ist erneut ein Höllentrip durch die deutsche Hauptstadt, die eine der Hauptrollen spielt.

Die anderen Hauptprotagonisten sind neben Trinker Radek und Feuerteufel Maurice zwei Frauen. Die Journalistin Jette Geppert, die Radek in der Zeitung porträtiert und ihn berühmt macht, erkennt als Super-Recognizer jedes Gesicht wieder, das sie einmal gesehen hat. Und schliesslich die Polizistin Romina Winter, neu beim Branddezernat, die von den altgedienten Männern in der Abteilung nicht akzeptiert wird.

Die Bürgerwehr, die zum Schutz ihrer Autos nun nachts durch die Strassen zieht, verdächtigt linke oder grüne Aktivisten der Brandanschläge. Auch die schwarzen Drogendealer aus dem nahen Park passen aber in ihr Feindbild. Die Medien heizen zusätzlich ein. Polizistin Romina ist sicher, dass der Täter ein unauffälliger, verdrückter junger Mann mit sexuellen Problemen ist.

Doch es geht in dieser Geschichte nicht darum, wer der Täter ist – man kennt ihn von Anfang an. Groschupf zeichnet mit präzisen Strichen ein beklemmendes Gesellschaftsbild aus dem Grossstadtdschungel in der Nach-Corona-Zeit. Ohne Scheuklappen zeigt er eine totalitäre Sekte, bigotte Frömmler, die sich mit jungen Mädchen ins Hinterzimmer verziehen und die Gemeinschaft unter Druck setzen. Einen rechten, rassistischen Selbstjustiz-Mob. Prekäre Familienverhältnisse. Männer, die Frauen schlagen. Ein ganzes Paket von Widerwärtigkeiten in einer furiosen und packenden Story.

Die starken Figuren sind dabei die Frauen. Vor allem Romina, die sich als Jägerin in der Art von Hyänen sieht: „Alle weiblichen Tiere sind den männlichen überlegen. Sie sind stärker, grösser, schwerer. Die Weibchen sagen, wo es lang geht. Sie jagen ausschliesslich nachts. Stöbern die Beute in der Dunkelheit auf, wenn das Wild nicht gut sieht, sich ungeschützt fühlt, Angst hat. Hyänen können die Angst riechen.“

Wertung: 4,6 / 5

Johannes Groschupf: Die Stunde der Hyänen
Suhrkamp, Berlin 2022. 265 Seiten, 16 Euro/ca. 24 Franken

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Bild: Mike Auerbach

Johannes Groschupf,

geboren 1963 in Braunschweig, wuchs in Lüneburg auf. Er studierte Germanistik, Amerikanistik und Publizistik an der Freien Universität Berlin. Er war viele Jahre als Reisejournalist unter anderem für „Die Zeit“, „Frankfurter Allgemeine“ und „Frankfurter Rundschau“ in der ganzen Welt unterwegs.

1994 überlebte er einen Hubschrauberabsturz in der Sahara, bei dem er schwere Verbrennungen erlitt. Vier Jahre später veröffentlichte er das Radio-Feature „Der Absturz“, in dem er sich mit diesem Unfall und den Folgen auseinandersetzte; er wurde dafür mit dem den Robert-Geisendörfer-Preis ausgezeichnet.

Seither schreibt er Bücher, zunächst Romane für Jugendliche wie „Lost Places“ (2013), „Der Zorn des Lammes“ (2014), „Das Lächeln des Panthers“ (2015), „Lost Girl“ (2017) und „Lost Boy“ (2017). Für seinen Thriller „Berlin Prepper“ wurde er mit dem Deutschen Krimipreis 2019 und dem Politkrimipreis der Heinrich-Böll-Stiftung ausgezeichnet, „Berlin Heat“ kam beim Deutschen Krimipreis 2021 auf Platz zwei.

Groschupf hat zwei mittlerweile erwachsene Kinder und lebt in Berlin.


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