Ein Schwarzer Fotograf als Detektiv
Der erste Satz
„Fünfzehn.“ Josh Nakano legte seinen Dominostein zu den anderen auf dem Tisch.
Krimi der Woche ∙ N° 25/2024 ∙ Hanspeter Eggenberger
Los Angeles, 1963. Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze sind alltäglich. Doch es besteht auch Hoffnung. Ein Schwarzer kandidiert für das Amt des Bürgermeisters. Und die Schwarze Gemeinde – und mit ihr andere fortschrittliche Kreise – fiebert dem grossen Auftritt von Martin Luther im Wrigley-Stadion und dem Marsch auf Washington entgegen.
Vor diesem Hintergrund spielt die Geschichte, die Gary Phillips in „One-Shot Harry“ erzählt. Der der 68-jährige afroamerikanische Autor ist eine etablierte Figur in der amerikanischen Kriminalliteratur, vor allem bekannt durch seine Serie mit dem Schwarzen Privatdetektiv Ivan Monk aus den Neunzigerjahren, aber erst jetzt ist er auch auf Deutsch zu entdecken.
Harry Ingram schiesst zwar, wenn es den nicht anders geht, auch mal mit einer Pistole, doch seinen Spitznamen One-Shot Harry verdankt er seinem Beruf: Er ist Fotograf, schiesst also Fotos. Um sein Einkommen aufzubessern, stellt er für Anwaltskanzleien Gerichtsvorladungen zu, was nicht immer gewaltfrei abläuft. Auf der Jagd nach Newsbildern scannt er den Polizeifunk. Die Beschreibung eines Autos, das am Mullholland Drive verunglückt ist, entspricht dem Modell, das sein alter Freund Ben Kinsley fährt, mit dem er im Koreakrieg gedient hat. Harry fährt sogleich hin. Und tatsächlich ist es das Auto von Kinsley, und der wurde beim Unfall getötet. Harry kommt der Unfall seltsam vor, und als er seine Fotos davon genauer anschaut, vermutet er eine Manipulation am Auto. Doch wer wollte Kinsley töten? Und warum? Harry beginnt zu ermitteln.
Phillips lässt auf eindrückliche Art das Los Angeles dieser Zeit aus der Sicht nicht nur der Schwarzen, sondern auch anderer sich nicht dem angloamerikanischen Mainstream zugehörig fühlender Kreise, auferstehen. Harry hat auch Freunde mit japanischen und griechischen Wurzeln, verkehrt unter Jazzmusikern, bei denen keine Rassenunterschiede gemacht werden. Zudem gibt es in dieser Zeit in den USA lautstarke kommunistische Aktivisten. Und auch Hollywoodstars tanzen zur Unterstützung von Reverend King an.
Gary Phillips war und ist selbst Aktivist gegen Rassismus und Polizeigewalt, für Bürgerrechte und Gewerkschaften. Der Geist dieses verdienstvollen Engagements durchdringt auch den Roman. Das führt zwar zuweilen zu etwas langatmigen Ausführungen, was aber nichts daran ändert, dass alles ebenso interessant und brisant wie wichtig und richtig ist.
Wertung: 3,8 / 5
Gary Phillips: One-Shot Harry
(Original: One-Shot Harry. Soho Crime, New York 2022)
Aus dem Englischen von Karen Gerwig
Polar Verlag, Stutgart 2024. 292 Seiten, 26 Euro/ca. 36 Franken
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Gary Phillips,
geboren 1955 in Los Angeles, studierte an der San Francisco State University und schloss an der California State University mit einem BA in Graphic Design ab. Wie viele andere afroamerikanische Familien in den 1940ern und 1950ern waren seine Eltern aus den US-Südstaaten nach Los Angeles gezogen. Nach der Ausbildung war er unter anderem als Drucker, Politkampagnenleiter, Gewerkschaftsorganisator und Aktivist gegen Polizeibrutalität und gegen die Apartheid in Südafrika tätig. Er engangierte sich auch insbesondere gegen die rassistische Polizeigewalt in Los Angeles.
Nachdem er 1989 von der Gewerkschaft, für die er arbeitete, entlassen worden war, besuchte er die Creative-writing-Klasse des bekannten Krimautors Robert Crais. Dort schrieb er eine Geschichte über einen afroamerikanischen Privatdetektiv namens Ivan Monk. Aus dieser Geschichte entstand sein erster Roman „Violent Spring“ (1994), es folgten der weitere Roman mit Monk und ein Band mit Kurzgeschichten.
eine fünfteilige Serie mit Monk wurde. Bisher hat Phillips gegen zwei Dutzend Romane geschrieben sowie mehrere Comics. Ausserdem hat er auch für eine TV-Sjow geschrieben. „One-Shot Harry“ ist das erste seiner Bücher, das auf Deutsch erscheint.
Gary Phillips lebt und arbeitet in Los Angeles.