Delpha Wade ermittelt wieder

Der erste Satz
Delpha riss den mit Insta-Tree beschrifteten Karton auf und breitete den Inhalt auf ihrem schmalen Bett aus.

Krimi der Woche ∙ N° 23/2024 ∙ Hanspeter Eggenberger

Beaumont, Texas, Dezember 1973. Delpha Wade steckt in dem Zimmer, das sie bewohnt, einen künstlichen Weihnachtsbaum zusammen. Die 32-Jährige ist erst vor ein paar Monaten aus dem Gefängnis gekommen. 14 Jahre sass sie ein, weil sie den Mann, der sie vergewaltigte und töten wollte, erstochen hatte. Da sie keine Reue zeigte, wurde sie nicht vorzeitig entlassen. Zwar traut sie allem noch nicht so recht, doch seit sie draussen ist, hat Delpha Glück gehabt: Ihr Bewährungshelfer hat ihr einen Job als Sekretärin bei seinem Freund Tom Phelan vermittelt. Dieser junge Mann, Vietnamveteran und ehemaliger Arbeiter auf einer Ölbohrplattform, hat eben einen Privatdetektei gegründet. Die smarte Delpha, die aus dem manche Bereiche kennt, die eine Detektei beschäftigen, ist rasch mehr als eine Büroangestellte. Sie ermittelt auch selbst.

Dies zeigte sie schon in den ersten beiden Romanen von Lisa Sandlin. Im dritten nun, „Der Auftrag der Zwillinge“, wird sie am Ende offiziell Partnerin von Tom Phelan: Im Januar 1974 wird die Türaufschrift der Detektei in Phelan and Wade Investigations geändert. Im neuen Roman sucht eine alte Bekannte von Delpha, die eben aus dem Gefängnis kam, die Hilfe der Detektive. Sie glaubt, dass ihre noch einsitzende Zwillingsschwester im Knast vergiftet wird. Gleichzeitig wendet sich der mit ihm befreundete Bewährungshelfer an Phelan, weil er aus Schilderungen von entlassenen Gefangenen schliesst, dass Häftlinge für medizinische und andere Versuche benutzt werden. Dieser Frage geht Phelan mit Delphas Unterstützung pro bono an. Und sie stellen fest, dass die beginnende Privatisierung und Kommerzialisierung des Strafvollzugs es leichter macht, gut bezahlte Experimente ohne grosse staatliche Kontrolle durchzuführen.

Ganz in der Tradition des klassischen hardboiled Privatdetektivromans erzählt Lisa Sandlin eine Kriminalgeschichte, die durch den scharfen Blick auf die sozialen Realitäten fasziniert und mit trockenem Humor gewürzt ist. Das Ganze ist stimmig eingebettet in die Zeit der frühen Siebzigerjahre. Quasi als Hintergrundrauschen kommen die Watergate-Ermittlungen gegen Präsident Richard Nixon vor, man trägt Schlaghosen, im Kino laufen „Serpico“ und „Jesus Christ Superstar“.

Delphas vorweihnächtliche Melancholie schwindet am Jahresende trotz dem schweren Schicksal der Zwillinge und der düsteren Ergebnisse der Ermittlungen im Strafvollzugsmilieu. Denn Tom Phelan bietet ihr nicht nur die geschäftliche Partnerschaft an – auch privat kommen sich Delpha und Tom näher.

Die deutsche Übersetzung des Romans ist übrigens dessen erste Ausgabe: Obwohl die ersten beiden, im Original von einem kleinen Verlag in El Paso herausgegebenen Delpha-Titel (auf Deutsch beide bei Suhrkamp) mit renommierten Preisen ausgezeichnet und von der Kritik gerühmt wurden, ist Lisa Sandlins dritter Roman in den USA bisher nicht erschienen.

Wertung: 4 / 5

Lisa Sandlin: Der Auftrag der Zwillinge
(Original: The People Store. 2024; in den USA bisher nicht erschienen)
Aus dem Englischen von Andrea Stumpf
Suhrkamp, Berlin 2024. 366 Seiten, 17 Euro/ca. 25 Franken

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Bild: PD

Lisa Sandlin,

geboren 1951 in Beaumont, Texas, lebte zunächst in Santa Fe, New Mexico, wo sie einen Sohn grosszog. Danach unterrichtete sie während vielen Jahren im Writer’s Workshop der University of Nebraska in Omaha kreatives Schreiben.

Seit den 1990er-Jahren hat sie mehrere Bände mit Kurzgeschichten veröffentlichte. Die Shortstory „Phelan’s First Case“ wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet und 2013 in die renommierte Anthologie „USA Noir: Best of the Akashic Noir Series“ aufgenommen. Ihr erster Roman „The Do-Right» (Deutsch: «Ein Job für Delpha», 2017), der 2015 erschien, nahm die Figuren aus dieser Story auf. Der Roman wurde mit zwei wichtigen amerikanischen Krimipreisen, dem Hammett Prize und dem Shamus Award, ausgezeichnet. Der Nachfolgeroman „The Bird Boys“ (2019; Deutsch: „Family Business“, 2020), war für den renommierten Edgar Allan Poe Award nominiert und stand auf der Liste der zehn besten Krimis des Jahres 2019 der Kritikerin Marilyn Stasio in der «New York Times». Sandlins dritter Roman „The People Store“ (2024; „Der Auftrag der Zwillinge“) ist im Original bisher nicht erschienen.

Lisa Sandlin lebt und arbeitet in Santa Fe, New Mexico.


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