Provinzgangster aus Rhode Island in Hollywood
Der erste Satz
Danny hätte sie alle töten sollen.
Krimi der Woche ∙ N° 21/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger
Zehn Kilo Heroin, die er mit seiner Gang rivalisierenden Gangstern abgenommen hat, hat Danny Ryan ins Meer gestreut, weil er mit dem Zeug doch lieber nichts zu tun haben will. Nun sind der irischstämmige Gangster und seine Getreuen aus Rhode Island auf der Flucht vor den Mafiosi in Providence. Ohne das Heroin fehlt ihnen aber das Geld für ein diskretes Leben in Südkalifornien. Hilfe kommt da ausgerechnet aus Regierungskreisen in Washington: Danny soll das Bargeldversteck eines mexikanischen Kartells überfallen, und die Beute – im achtstelligen Bereich – würde geteilt. Die Beamten wollen ihren Teil für Auslandseinsätze gegen Terroristen einsetzen, weil der Kongress ihnen die Mittel dafür gestrichen hat.
In „City of Dreams“, dem zweiten Teil der Trilogie, mit der er seine Schriftstellerkarriere beenden will, legt der US-Starautor Don Winslow gegenüber „City of Fire“ (2022; > krimikritik.com-Review) noch einen Zacken zu. („City of Dreams“ lässt sich problemlos lesen, ohne den Vorgänger gelesen zu haben; was man dafür von der Vorgeschichte wissen muss, wird rekapituliert.)
Der Abstecher der Gangster von der Ostküste ins Hollywood-Filmbusiness, wo ihre Geschichte verfilmt wird, sorgen für einige Komik. Winslow zeigt schön, wie sich das Geschäftsbaren von Filmfirmen und Mafia teils ähnelt. Und dass die Mafiosi da sogar noch etwas lernen können. Gut gehen kann das natürlich nicht, weil die Medien sich auf brisante Geschichten und Klatsch aus dem Filmgeschäft stürzen. Von wegen diskretes Leben … Aber es gibt ja auch noch Las Vegas, wo Dannys Mutter lebt. Ihm kommt Los Angeles im Vergleich zur Spielerstadt vor „wie eine Siedlung von Amischen“.
Danny hat es nicht einfach. Nachdem seine Frau an Krebs gestorben ist, ist er mit seinem kleinen Jungen unterwegs. Und dass er nicht der ganz harte und skrupellose Gangster ist, zeigt sich nicht nur darin, dass er das „böse“ Heroin vernichtet, sondern auch im Umgang mit seinen Gegnern. „Er glaubt noch an Gott. An Himmel und Hölle und den ganzen gefühlsduseligen Mist. Ein paar Leute hat er auf dem Gewissen, aber er hat immer nur in Situationen getötet, in denen er sonst selbst draufgegangen wäre.“ Das kann sich allerdings rächen, denn die Kontrahenten kennen keine solche Rücksichten. Und sinnen auf Rache.
„City of Dreams“ hat mehr Schwung als der erste Band der Trilogie, der in Rhode Island spielte. Winslow vermengt gekonnt die verschiedensten Elemente und Themen – Flucht und Verfolgung, Familiengeschichten, Verbrechen, Liebe, seelische Versehrungen, Filmbusiness, Drogen, Politik, Verrat – zu einem sprudelnden Cocktail, zu dem bittere Noten ebenso gehören wie süsse. Action und knackige Dialoge sorgen dafür, dass das immer spannend und unterhaltsam, wobei eine gewisse Tiefe nicht aber nicht verloren geht.
In einem Jahr wird sich Don Winslow mit dem (bereits geschriebenen) dritten Teil der Trilogie als Schriftsteller verabschieden. Falls das dannzumal tatsächlich noch gilt.
Wertung: 4 / 5
Don Winslow: City of Dreams
(Original: City of Dreams. William Morrow, New York 2023)
Aus dem Englischen von Conny Lösch
HarperCollins, Hamburg 2023. 367 Seiten, 24 Euro/ca. 33 Franken
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Bild: @Don Winslow/Fb
Don Winslow,
geboren 1953 in New York City, wuchs an der Küste von Rhode Island auf. Er studierte an der University of Nebraska afrikanische Geschichte und arbeitete unter anderem als Privatdetektiv sowie als Safarileiter in Kenia und China, bevor er Militärgeschichte zu studieren begann.
Anfang der 1990er startete er seine Schriftstellerkarriere mit der Serie um den privaten Ermittler Neal Carey. Spätestens seit dem Meisterwerk „The Power of the Dog“ (2005; Deutsch: „Die Tage der Toten“, 2010) zählt er zu den erfolgreichsten Autoren des Genres. Nach diesem Drogenkrieg-Epos brillierte er mit ein paar witzigen Südkalifornien-Surfer-Krimis, die auf Deutsch vor „Die Tage der Toten“ erschienen sind. Inzwischen hat Winslow mehr als 20 Bücher veröffentlicht. „Savages“ wurde 2012 von Oliver Stone verfilmt und machte Winslow definitiv zum Star. Neben seinen brillanten Romanen erschienen auf Deutsch auch wenig überzeugende Werke wie „Vergeltung“ und „Missing. Germany“, die auf Englisch gar nicht veröffentlicht wurden. Mit „Das Kartell“ (2015) und „Jahres des Jägers“ (2019) baute er die Geschichte von „Die Tage der Toten“ eindrücklich zur insgesamt mehr als 2500 Seiten umfassenden „Kartell-Trilogie“ aus. Mehrere Filmprojekte, die auf Werken von Winslow basieren, sind in Arbeit.
Don Winslow tritt für die Legalisierung der Drogen ein, da nur eine Entkriminalisierung den Kartellen und Banden das Geschäft legen könne. Vor allem während der Trump-Präsidentschaft begann Winslow sich mehr und mehr politisch zu engagieren. Zur Veröffentlichung von „City on Fire“, den Auftakt einer Gangster-Trilogie, kündigte er im April 2022 an, nun keine weiteren Romane zu schreiben. Die beiden Fortsetzungen, jetzt „City of Dreams“ und ein weitere Band im Frühjahr 2024, waren bereits geschrieben. Winslow widmet sich jetzt mit seiner „digitalen Armee“ voll und ganz seinem politischen Engagement gegen ein Comeback von Donald Trump und gegen den „Trumpism“. Winslow lebt in Südkalifornien und in Rhode Island.