Töten bereitete ihm keine Freude, er konnte es einfach gut
Der erste Satz
Wenn er erwachsen war, wollte er Rennfahrer werden.
Krimi der Woche ∙ N° 20/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger
Ein paar Graffiti, wilde Hunde, die eine Kuh jagen – für das Sheriff Department in einem kleinen County in den Appalachen im US-Bundesstaat Kentucky ist der Alltag nicht besonders aufregend. Vor allem für Deputy Johnny Boy: „Aus reiner Gewohnheit sah er in seinen Papierkorb, in dem aber nichts lag, da er ihn heute schon zweimal geleert hatte. An manchen Tagen langweilte er sich so sehr, dass er Papier zusammenknüllte und wegwarf, damit er den Papierkorb leeren gehen konnte.“
Und als der lokale Drogendealer Fuckin’ Barney – sogar seine Mutter, Shifty Kissick, nennt ihn so – ermordet aufgefunden wird, ist es ein Fall für die Stadtpolizei. Erst als dann auch Barneys Bruder getötet wird, kommt Sheriff Linda Hardin ins Spiel, denn seine Leiche wurde anderthalb Meter ausserhalb der Stadtgrenze aufgefunden, ein extra herbeigerufener Landvermesser bestätigte das. Linda hat jetzt kaum Zeit dafür, denn sie ist im Wahlkampf um ihre Wiederwahl als Sheriff. Doch ihr Bruder Mick, der Ermittler bei der Army ist und derzeit in seiner Heimat eine Beinverletzung auskuriert, ist schon seit Barneys Ableben auf Wunsch von Shifty – Micks Vater soll etwas mit der Mutter der Toten gehabt haben – an dem Fall.
Nach „Unbarmherziges Land“ („The Killing Hills“) tritt Mick Hardin in „Ein dreckiges Geschäft“ (Original: „Shifty’s Boys“) zum zweiten Mal auf. Der deutsche Allerweltstitel wäre bei gegen einem Drittel aller Kriminalromane nicht falsch, aber entsprechend beliebig; ich meine, beide Bücher wären auf Deutsch mit dem englischen Originaltitel besser bedient. Das sollte einen jedoch nicht von der Lektüre abhalten. Denn Chris Offutt, ein erfahrener Autor, der sich erst spät der Crime-fiction zugewandt hat, ist ein ausgezeichneter Erzähler. Und für seine Country-Noir-Romane hat er eine abgehängte Region in den Bergen von Kentucky gewählt, wo er aufgewachsen ist. Diese Gegend und ihre Bewohner spielen neben Mick Hardin wesentliche Rollen auch in der neuen Geschichte.
Micks inoffiziellen Ermittlungen führen zu einem alten Bergwerk, das zeitweise für die Champignonzucht genutzt wurde. Inzwischen wird der Stollen von bewaffneten Männern bewacht, die von ihren Waffen auch Gebrauch machen, doch niemand weiss, was dort vor sich geht.
Nach den Kissick-Brüdern gerät offenbar auch Mick ins Visier der Mörder. Dabei kommt aber nicht er um, sondern ein befreundeter Tüftler, der gerade in Micks Waldhütte logiert. Von da an nimmt Mick die Sache persönlich. Zusammen mit dem ältesten Kissick-Bruder, der wie er in militärischen Spezialeinheiten gestählt wurde, zieht er in den Kampf. Der Kreislauf von Gewalt und Rache eskaliert. „Töten bereitete ihm keine Freude, er konnte es einfach gut“, heisst es einmal über Mick.
Natürlich trägt die Action wesentlich zur Spannung bei. Doch vor allem lebt der Roman von den kleinen Nebengeschichten aus der Provinz, die sich durch die ganze Hauptgeschichte ziehen.
Wertung: 4,5 / 5
Chris Offutt: Ein dreckiges Geschäft
(Original: Shifty’s Boys. Grove Press, New York 2022)
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
Tropen, München 2023. 267 Seiten, 17 Euro/ca. 25 Franken
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Chris Offutt,
geboren 1958 in Lexington im US-Bundesstaat Kentucky, ist der Sohn des Science-Fiction- und Fantasy-Autors Andrew J. Offutt. Er wuchs mit drei Geschwistern in Haldeman auf, einer ehemaligen Bergbaugemeinde mit 200 Einwohnern im Rowan County in den Ausläufern der Appalachen im östlichen Kentucky.
Er studierte an der Morehead State University, die er mit einem Diplom in Theaterwissenschaften sowie Englisch im Nebenfach abschloss. Nach dem Studium reiste er als Anhalter durch das Land, wobei er verschiedenste Gelegenheitsjobs annahm und zu schreiben begann. Später besuchte er den renommierten Iowa’s Writer Shop, ein Programm der University of Iowa, zu dessen Absolventen unter anderen Grössen wie John Cheever, Philip Roth und T. C. Boyle zählen.
1992 debütierte er mit der Story-Kollektion „Kentucky Straight“. Sein zweites Buch, „The Same River Twice“ (1993) erschien auch auf Deutsch („Wo der Fluss mein Herz berührt“, Goldmann, 1994). Auch „Out of the Woods“ (1999) liegt auf Deutsch vor („Fern der Wälder“, Goldmann, 2001). Neben Short Storys und Romanen schreibt Offutt auch für Comics. Zudem schrieb er Drehbücher für die bekannten TV-Serien „True Blood“, „Weeds“ und „Treme“. Mit dem Roman „Country Dark“ (2018) legte er seinen ersten Country-Noir-Roman vor, der in Frankreich mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Mit „The Killing Hills“ (Deutsch: „Unbarmherziges Land“, 2021 > krimikitik.com-Review), der auch in Frankreich, Spanien und Italien erschien, wurde er international bekannt. Mit „Shifty’s Boys“, jetzt als „Ein dreckiges Geschäft“ auf Deutsch erschienen, setzt er die Geschichte von Mick Hardin fort.
Chris Offutt lebt im ländlichen Lafayette County in der Nähe von Oxford im US-Bundesstaat Mississippi. Er ist Gastdozent an der University of Mississippi in Oxford. Zu seinen Leidenschaften gehört die Fotografie, der er sich seit vielen Jahren widmet; seit 2020 zeigt er seine Arbeiten auf Instagram.