Brutalität und Blut am Bayou
Der erste Satz
Der Rest der Menschheit mochte es Herbst nennen und von den letzten Relikten des Sommers träumen, von den kühlen Nächten und der goldgrünen Natur, doch für mich hatte der Winter längst begonnen.
Krimi der Woche ∙ N° 32/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger
„Creole Belle“ ist der schöne Originaltitel des 19. Romans der Robicheaux-Reihe, im Original 2012 erschienen, von Altmeister James Lee Burke, der jetzt vom Pendragon Verlag im Rahmen der Gesamtausgabe nachgereicht wird. Eigentlich hätte man den Originaltitel für die deutsche Übersetzung stehen lassen können, doch diese heisst „Die Tote im Eisblock“. Aber es geht ja um den Inhalt. Und der ist zunächst einmal umfangreich. Das Buch ist ein wahrer Ziegel. An die siebenhundert Seiten stark, sechs Zentimeter dick. Aber, wie immer bei Burke, man würde gerne auch noch mehr lesen. Nicht nur die getreuen Follower des Ermittlers Dave Robicheaux vom Sheriff’s Office in New Iberia am Bayou Teche in Louisiana, der über sich sagt: „Immer waren Alkohol und Depressionen, Gewalt und Blutvergießen fester Bestandteil meines Weges gewesen.“ Das Buch eignet sich übrigens auch gut zum Einstieg in Robicheaux’ Welt.
Wie der deutsche Titel schon ankündigt, wird in diesem Band ein rasch schmelzender Eisblock am Bayou angeschwemmt, in dem die Leiche einer jungen Frau steckt. Es ist die Schwester der Zydeco-Sängerin Tee Jolie Melton, einer Bekannten von Robicheaux, die verschwunden ist. Robicheaux will die Sängerin finden. Dabei wird er von seinem besten Kumpel Clete Purcel unterstützt, seinem ehemaligen Partner bei der Polizei in New Orleans, der jetzt privater Ermittler ist. Ein Mann, der keine Hemmungen kennt, wenn jemand böse ist oder seinen Freunden Schlechtes will. Robicheaux vermutet, dass der Fall der beiden Schwestern mit der katastrophalen Ölpest an der Küste zusammenhängt, die von den Ölfirmen und der Politik kleingeredet wird. Doch die Geschichte ist komplex und zunächst undurchsichtig. Unter anderen lernen wir da böse Bosse, korrupte Politiker und ein paar Gangster kennen, eine mysteriöse Profikillerin und einen bigotten Prediger. Und einen alten SS-Nazi aus Deutschland, der sich als KZ-Opfer ausgibt, und dessen Enkel gleichzeitig sein inzestuöser Sohn ist.
Der inzwischen 85-jährige James Lee Burke packt das alles und noch viel mehr eine fesselnde Geschichte. Es ist ein bunter Reigen aus schlagfertigen Dialogen, gnadenloser Brutalität, poetischen Betrachtungen, Philosophischem über das Böse im Menschen und einer trockenen Art von Galgenhumor. Das ist nicht nur höchst unterhaltsam, Burke stattet Robicheaux hat auch mit einem scharfen Blick aus für den „vergifteten Cocktail aus Dummheit, Armut und Rassismus“, den Politiker verbreiten: „Die Politiker in Louisiana gehören zum korruptesten menschlichen Abschaum, den ich kenne.“
4,7 / 5
James Lee Burke: Die Tote im Eisblock
(Original: Creole Belle. Simon & Schuster, New York 2012)
Aus dem Englischen von Bernd Gockel
Pendragon Verlag, Bielefeld 2022. 684 Seiten, 26 Euro/ca. 36 Franken
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James Lee Burke,
geboren 1936 in Houston, Texas, wuchs im Grenzgebiet von Texas und Louisiana an der Golfküste der USA auf. Er studierte Literatur an der University of Louisiana in Lafayette und an der University of Missouri in Columbia.
Er veröffentlichte in den 1960er-Jahren seine ersten Bücher, die von der Kritik gelobt wurden. Nachdem sein Roman „Lay Down My Sword & Shield“ (Deutsch unter dem Titel „Zeit der Ernte“ 2017 bei Heyne) 1971 floppte, bekam er für sein viertes Buch, „The Lost Get-Back Boogie“ über hundert Absagen (nachdem es 1986 doch noch erschien, wurde es für den Pulitzer-Preis nominiert), und es dauerte 13 Jahre, bis er sein nächstes Buch veröffentlichen konnte. Burke arbeitete derweil in verschiedenen Jobs, unter anderem als Lastwagenfahrer und als Reporter, als Sozialarbeiter in Los Angeles und in einem Arbeitsprogramm für arbeitslose Jugendliche in Kentucky. In den 1980ern lehrte er kreatives Schreiben an der Wichita State University in Kansas.
1987 startete er mit „The Neon Rain“ („Neonregen“) die Serie um Dave Robicheaux, einen Ermittler in Louisiana, die inzwischen 23 Romane umfasst, von denen nunmehr 21 auf Deutsch vorliegen (Pendragon Verlag). Mit Robicheaux hatte Burke erstmals grossen Erfolg, und er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Die Romanreihe erscheint fast in der ganzen Welt. Daneben gibt es die inzwischen 13 Bände umfassenden Holland-Saga (acht davon gibt es auf Deutsch bei Heyne), in denen es um verschiedene Mitglieder und Generationen der texanischen Familie Holland geht. Mehrere weitere Werke, darunter vor allem die ganz frühen, sind nicht ins Deutsche übertragen worden.
Mit seiner Frau, Pearl Pai Chu, hat James Lee Burke vier Kinder. Tochter Alafair Burke, geboren 1969, studierte Juristin, ist ebenfalls als Krimiautorin erfolgreich. Burke lebt mit seiner Frau auf einer Ranch in Lolo in der Nähe von Missoula in Montana und, wie sein Held Dave Robicheaux, in New Iberia in Louisiana.