Ein Einbruch läuft aus dem Ruder

Der erste Satz
Tyler starrte seine kleine Schwester an, während sie fernsah und das Licht des Bildschirms über ihr Gesicht flackerte.

Krimi der Woche ∙ N° 03/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger

Die Geschwister Barry, Kelly und Tyler sind daran, in dem Haus, in das sie eingebrochen sind, alles Wertvolle, das sie tragen können, einzupacken. Da werden sie durch die heimkehrende Hausherrin überrascht. Barry, die Anführer, sticht mit einem Messer auf die Frau ein. Die jungen Einbrecher fliehen. Noch mal davongekommen, denkt Barry. Doch am nächsten Tag stellt sich heraus, dass sie unwissentlich in das Haus eines lokalen Gangsterbosses eingestiegen sind. Und der überlässt das nicht der Polizei, sondern will gnadenlose Rache.

Der 17-jährige Tyler ist die Hauptfigur in „Der Bruch“, dem zehnten Roman des schottischen Autors Doug Johnstone. Tyler lebt mit seiner Familie in einem Hochhaus in einem heruntergekommen Viertel von Edinburgh. Er kümmert sich um seine kleine Schwester Bethany, genannt Bean, und er hält den Haushalt so weit wie möglich in Schuss. Denn die Mutter ist drogen- und alkoholabhängig und bringt gar nichts auf die Reihe; auch um sie muss sich Tyler kümmern.

In der Wohnung nebenan leben seine Stiefgeschwister Barry und Kelly in einer inzestuösen Beziehung. Sie finanzieren ihren Lebensunterhalt und ihren Drogenkonsum mit Einbrüchen. Der für sein Alter kleingewachsene Tyler muss dabei mitmachen, weil er durch kleine Öffnungen einsteigen kann. Würde er sich weigern, würde womöglich die kleine Bean dafür missbraucht. Darum, und weil er Barrys Gewalt fürchtet, macht Tyler mit. Im Grunde ist er ein guter Junge. Er geht zur Schule, träumt von einem besseren Leben und versucht, seinem Moralkodex treu zu bleiben. Was in der von Gewalt geprägten Welt, in der er lebt, nicht einfach ist.

Doug Johnstone packt in „Der Bruch“ sozialen Realismus in eine harte und dunkle, emotionale und spannende Geschichte, die ohne dozierende Erklärungen gesellschaftliche Verhältnisse aufzeigt. Dysfunktionale Familien sind ein zentrales Thema des Romans. Und die gibt es nicht nur in der Unterschicht. Flick, ein gleichaltriges Mädchen aus gutem Haus, das Tyler kennenlernt, leidet, wenn auch aus anderen Gründen, ebenso an ihrer Familie.

Es geht in diesem Kriminalroman weder um die Aufklärung eines Verbrechens noch um die Frage nach Schuld und Sühne. Es geht, jenseits simpler Vorstellungen von Gut um Böse, um die Ursachen von kriminellen Handlungen. Es geht um die komplexe Frage, warum jemand tut, was er tut.

Die Beziehung zwischen Tyler und Flick ist ein kleiner Hoffnungsschimmer in der düsteren Geschichte. Wobei man in einem Noir-Roman nie ganz sicher sein kann, ob man wirklich ein Licht am Ende des Tunnels sieht, oder ob es nicht die Scheinwerfer eines einem entgegenrasenden Zugs sind.

Wertung: 4,2 / 5

Doug Johnstone: Der Bruch
(Original: Breakers. Orenda Books, London 2019)
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. Mit einem Nachwort von Hanspeter Eggenberger
Polar Verlag, Stuttgart 2021. 230 Seiten, 20 Euro/ca. 35 Franken

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Bild: Chris Scott

Doug Johnstone,

geboren 1970, wuchs in der an der schottischen Ostküste zwischen Edinburgh und Aberdeen gelegenen Kleinstadt Arbroath auf, beide Elternteile waren Lehrer. Schon als Schüler hat er gerne Geschichten geschrieben, doch nach der Schule studierte er an der Universität in Edinburgh Physik und promovierte in Atomphysik. Gleichzeitig hat er auch immer geschrieben, allem als Musikjournalist, da er auch selber Musiker ist. Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Ingenieur für Radarsysteme, da das aber keinen Spass gemacht habe, sei er Journalist geworden.

Mit Anfang 30 begann er an Romanen zu arbeiten; inzwischen zählt er zu den besten Krimiautoren Schottlands. Seit 2006 veröffentlichte er bereits ein Dutzend Romane. Vor „Der Bruch“ („Breakers“, 2019) erschienen drei davon auch auf Deutsch: „Smokeheads“ (2012), „Hit & Run“ (2015) und „Gone Again“ (2015; Deutsch: „Wer einmal verschwindet“; die anderen beiden erschienen auf Deutsch mit dem Originaltitel). Mit dem Roman „Eingeäschert“ (Original: „A Dark Matter“, 2019) hat er erstmals eine Serie gestartet; auf Englisch liegen inzwischen schon drei Bände um die Frauen der Familie Skelf vor.

Doug Johnstone hat in verschiedenen Bands gespielt, darunter „Northern Alliance“, die mehrere Alben veröffentlichten. Auch als Singer/Songwriter unter seinem eigenen Namen veröffentlichte er Musik. Seit ein paar Jahren ist er Schlagzeuger bei den „Fun Lovin’ Crime Writers“, einer Band, die ausschliesslich aus schottischen Krimiautoren besteht. Neben Johnstone sind das Val McDermid, Mark Billingham, Chris Brookmyre, Stuart Neville und Luca Veste. Ausserdem ist er Spieler und Manager des Scotland Writers Football Club, einer Schriftsteller-Fussballmannschaft.

Doug Johnstone ist ein vehementer Befürworter der Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich und hofft, dass sich dafür nach dem Brexit eine Mehrheit findet. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Edinburgh.


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