So geht gescheite feministische Unterhaltung

Der erste Satz
Zeb Williams trat mit der Spitze seines Stollenschuhs in den Kunstrasen und überlegte, was darunterlag.

Krimi der Woche ∙ N° 08/2024 ∙ Hanspeter Eggenberger

Vor fast vierzig Jahren hatte der College-Footballstar Zeb Williams in Nordkalifornien einen spektakulären Abgang hingelegt. Das Spiel gegen die Erzrivalen aus der Region stand ein paar Sekunden vor Schluss unentschieden. Zeb packte den Ball und rannte los. Aber in die falsche Richtung. Und aus dem Stadion hinaus. Und wurde nie mehr gesehen. Ausser mal in Ilona, einem Kaff in Südoregon, wo er in offenbar einem Café arbeitete. Auch da verschwand er nach kurzer Zeit spurlos.

Zeb war damals, als er verschwand, mit einer jungen Frau aus einer der reichsten Familien Kalifornien liiert. Deren Mann engagiert jetzt Alice Vega, eine private Ermittlerin, die auf Vermisstenfälle spezialisiert ist, um Williams nach all den Jahren vielleicht doch noch zu finden. Oder zumindest etwas Licht in die dunkle Geschichte seines Verschwindens zu bringen.

Die resolute Alice Vega kennen wir bereits aus „Tote ohne Namen“, dem furiosen früheren Vega-Roman der US-Autorin Louisa Luna, der 2021 auf Deutsch erschienen ist. Genauso rasant geht es jetzt im neuen Roman „Abgetaucht“ zur Sache. Vega reist nach Oregon, um den Menschen, die vor Jahrzehnten Zeb Williams begegnet waren, Informationen zu entlocken, die ihr bei der Suche weiterhelfen könnten. Als sie die kurzzeitige Freundin von Zeb aufsucht, die damals das lokale Café führte und nun als Lehrerin arbeitet, stellt sie fest, dass diese von jungen Männern aus dem Ort bedroht worden ist. Das hat zwar nichts mit Zeb zu tun, aber Vega reagiert allergisch auf solche Machos.

Vega geht dieser neuen Geschichte nach und stellt fest, dass es sich bei den Typen nicht einfach um etwas aufgeputschte Jugendliche handelt, sondern um üble Rechtsextremisten. Da die Söhne des reichen Dorfkönigs und des Sheriffs – die beiden Väter sind alte Freunde – zur Gruppe gehören, wagt es niemand, sich gegen sie zu wehren. Doch nun ist Vega da, und sie wird bei solchem Neonazi-Pack lieber selbst aktiv, als dass sie darauf wartet, dass sich die Polizei vielleicht doch mal darum kümmert. Erst recht, nachdem nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Liebsten ins Visier der Bande geraten sind.

So nimmt die Sache einen dramatischen Verlauf. Actionreich, streckenweise brutal, mit knackigen Dialogen und trockenem Humor entwickelt Luna eine spannende Geschichte, erzählt unprätentiös aber präzise. Sie wirft dabei einen scharfen Blick auf die Neonazi-Szene im ruralen Amerika. Und zeigt wie diese Kreise zusammenfinden, wie clevere Männer aus dem Hintergrund junge Hitzköpfe über die sozialen Medien rekrutieren. Wie sie Rassisten werden. Und das in einer Gegend wie Südoregon, in der, wie ein FBI-Mann unkt, vielleicht vier Schwarze leben.

So geht gescheite feministische Unterhaltung.

Wertung: 4,6 / 5

Louisa Luna: Abgetaucht
(Original: Hideout. Doubleday, New York 2022)
Aus dem Englischen von Karin Diemerling
Suhrkamp, Berlin 2024. 456 Seiten, 18,95 Euro/ca. 27 Franken

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Bild: Bertrand Roberts

Louisa Luna,

geboren 1977 in San Francisco, studierte in New York. In ihren Zwanzigern, von 2001 bis 2004, veröffentlichte sie drei Romane. Das erste Buch habe sich okay verkauft, das zweite weniger und das dritte noch weniger, sagte sie in einem Interview. „Das deprimierte mich ein wenig, und ich hörte für eine Weile auf zu schreiben.“

Erst 2012 begann sie, wieder ein Buch zu schreiben. Das habe mehr als drei Jahre gedauert, weil sie es neben einem Fulltime-Job in der Finanzbranche und den Pflichten als Mutter schrieb. Das Resultat, „Two Girls Down“, der erste Roman mit Alice Vega, erschien dann 2018. Der zweite Vega-Thriller, „The Janes“, der 2021 unter dem Titel „Tote ohne Namen“ auf Deutsch erschienen ist, folgte 2020. „Hideout“ (2022; jetzt Deutsch unter dem Titel „Abgetaucht“) ist der dritte Alice-Vega-Krimi. Er wurde bei der Verleihung der Edgars 2023 mit dem Sue Grafton Memorial Award für den besten Roman einer Serie mit einer weiblichen Hauptfigur ausgezeichnet. Im Juni 2024 erscheint ihr neuester Roman „Tell Me Who You Are“, ein Thriller mit einer New Yorker Psychiaterin als Hauptfigur.

Louisa Luna lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter im New Yorker Stadtteil Brooklyn.


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Eigentlich wird dem Opfer der Prozess gemacht

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