Cops und Gangster jagen eine alleinerziehende Mutter
Der erste Satz
Sogar ungeschminkt sehe ich ganz gut aus.
Krimi der Woche ∙ N° 37/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger
Bridget O’Rourke, kurz Git, hat es nicht leicht. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihrer 8-jährigen Tochter Charlie und ihrer Mutter Celia, die ein Alkoholproblem hat, in der fiktiven Stadt Baxter im „Bible Belt“ im Mittleren Westen der USA. Der Ort ist auf dem Abstieg, eine Fleischfabrik nach der anderen hat geschlossen, die Covid-Pandemie gab den Letzten den Rest. Bei der nächsten Volkszählung wird die Einwohnerzahl auf unter hunderttausend gesunken sein. Git ist Pflegerin und braucht zwei Jobs, um ihre kleine Familie durchzubringen.
Mit Männern hat Git im Prinzip abgeschlossen. Kein Wunder, nach ihren Erfahrungen: „Mein erster Freund hat mir die Faust ins Gericht gerammt, als ich ihm keinen blasen wollte – ich war zwölf –, und meine letzte Liebe, Frankey Belleau, hat mein Konto leer geräumt und sich aufgemacht, Ruhm und Reichtum in Las Vegas zu suchen. Jetzt sitzt er im Gefängnis.“ Doch alle paar Monate kommt sie „an den Punkt, an dem ich einen Mann brauche“. Doch diesmal bringt sie das kleine Abenteuer, das ihr einen schönen Abend bescheren sollte, richtig in Schwierigkeiten.
Git ist eine der drei wechselnden Icherzähler:innen im Kriminalroman die „Die Höfe“ von A. F. Carter (ein Pseudonym). Der nicht eben prickelnde deutsche Titel ist die Übersetzung des Originaltitels „The Yards“. Als „the Yards“ wird in Baxter ein Unterschichtsviertel nahe der Schlachthöfe bezeichnet. Git ist dort aufgewachsen, hat sich aber herausgearbeitet. Die zweite Protagonistin ist Detective Delia Mariola, ebenfalls eine alleinerziehende Mutter. Der dritte ist Connor Schmidt, der aufstrebende Sohn von Carl Smith, dem Oberhaupt des lokalen organisierten Verbrechens.
An einen Drogen- und Geldkurier der Familie Schmidt gerät Git an diesem Abend. Am anderen Morgen wird der Mann tot in seinem Motelzimmer gefunden. Kopfschuss. Und die 18‘000 Dollar, die Connor bei ihm abholen wollte, sind weg. Die Polizistin Delia sucht die Frau, mit der der Tote zuletzt gesehen wurde. Auch der Gangster Connor sucht sie, denn sein Vater will das verschwundene Geld zurück.
Die Frage, wer die mögliche Mörderin und mutmassliche Diebin zuerst findet, sorgt in diesem soliden Plot für vordergründige Spannung. Das wirklich Spannende sind indes die beiden weiblichen Hauptfiguren, die sich zwar entgegenstehen, im Grunde aber gar nicht so verschieden sind und teils mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Die dritte Hauptfigur dagegen, der junge Gangster, der den Aufstand gegen den Vater probt, fällt dabei etwas aus dem Rahmen; er erfüllt eigentlich nur dramaturgische Zwecke. Die Erzählweise wirkt routiniert, teils etwas zu routiniert. Anderseits versteht es der Autor, die Probleme der Stadt mit wenigen Strichen präzis zu skizzieren. „Als eine Fabrik nach der anderen schloss, schoss die Anzahl der Junkies nach oben, ebenso die Quote der Überfälle und Einbrüche, die Vorfälle von häuslicher Gewalt und die Zahl alleinerziehender Frauen.“ Aus diesem Milieu heraus baut der Autor eine raffinierte Geschichte, in der es nicht um ganze Stapel von Leichen und um viele Millionen geht, sondern um relativ kleine Verbrechen, und die deshalb wie aus dem echten Leben gegriffen wirkt.
Wertung: 3,5 / 5
A. F. Carter: Die Höfe
(Original: The Yards. Mysterious Press, New York 2021)
Aus dem Englischen von Karen Witthuhn
Polar Verlag, Stuttgart 2023. 279 Seiten, 26 Euro/ca. 37 Franken
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A. F. Carter
Ist das Pseudonym eines Autors, der in New York lebt und arbeitet. „The Yards“ (2021), jetzt als „Die Höfe“ auf Deutsch erschienen, ist sein zweiter Roman unter diesem Namen nach „All of Us“ (2020). Im dritten und vierten Roman, „The Hostage“ (2022) und „Boomtown“ (2024), ist die Polizeidetektivin Delia Mariola aus „Die Höfe“ die Hauptfigur. Wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt, ist nicht bekannt.