Brutale Machtspiele in der Stadt der Engel
Der erste Satz
Los Angeles brennt.
Krimi der Woche ∙ N° 36/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger
Mae Pruett ist in der PR-Branche tätig. Sie arbeitet bei Mitnick & Associates, der renommiertesten Krisenmanagement-Agentur in Los Angeles. Und da hat sich reichlich zu tun. Etwa mit Hannah Heard, einem jungen Star. Am Tag bevor die Dreharbeiten für eine neue Serie mit ihr in der Hauptrolle beginnen, kehrt Hannah mit einem schlimmen blauen Auge von einem Sextrip mit einem Superreichen zurück. Mae kann das richten, erfindet eine harmlose Geschichte über die Entstehung des hässlichen Hämatoms. Das gehört zu den harmloseren Fällen in ihrem hektischen Job.
Lügen, abwiegeln, drohen, bestechen sind das tägliche Brot von Mae und ihren Kolleginnen und Kollegen. Dreck oder etwas, das sich als das verkaufen lässt, ausgraben über Opfer von Klienten, die nicht nur aus dem Unterhaltungsgeschäft kommen. Berichterstattungen abwürgen oder steuern. Oder gleich ein Aufräumkommando schicken. Was die Wahrheit angeht, hat Mae von ihrem Chef Dan gleich am Anfang gelernt: „Ist nicht so, dass sie nicht wichtig wäre, aber es kommt nicht drauf an.“ Oder, wie ein Klient es einmal sagt: „Spielt es eine Rolle, ob es wahr ist?“
Hollywood von seinen dreckigsten Seiten zeigt Jordan Harper in seinem neuen Roman „Alles schweigt“. Die legendäre Skandalchronik „Hollywood Babylon“ ist Kinderkram dagegen. Harper kenn die Branche, die er beschreibt. Er ist selbst als Autor und Produzent im TV- und Film-Business tätig. Vor sechs Jahren hat er mit „Die Rache der Polly McClusky“ als Krimiautor debütiert, „Alles schweigt“ ist erst sein zweiter Roman. Es ist ein furioses Noir-Stück. Vollgepackt mit miesen Typen und mit reichlich Action. Und etlichen Toten.
Maes Chef Dan erwischt es unterwegs zu einem konspirativen Treffen mit ihr. Er hat irgendetwas ausgegraben, das offenbar lukrativ sein könnte. Aber kein Fall für die Firma. Er will die taffe Mae dabeihaben, sie könnten danach eine eigene Firma gründen. Doch er wird erschossen, bevor er sie eingeweiht hat. Sie beginnt, seinen Spuren nachzugehen. Dabei stösst sie auf ihren Ex-Freund Chris, ein Ex-Cop, der für eine Security-Firma ebenfalls dem Mord an Dan nachgeht. Chris „ist derjenige, der eingeschaltet wird, wenn der Tote langsam kalt wird“. Neben Mae ist er die zweite Hauptfigur des Romans. Mae und Chris tun sich zusammen, und sie stossen auf eine schwangere 14-Jährige. Ein Mädchen aus Oklahoma, das nach L. A. gekommen ist, um Schauspielerin zu werden. Und von einem bekannten Kinder-TV-Produzenten missbraucht worden ist. Da steckt viel Geld drin. Auch Mae möchte etwas davon.
Raffiniert verbindet Jordan Harper verschiedenste Geschichten zu einem komplexen Plot. Da geht es auch um grausame Brandanschläge auf Zeltlager von Obdachlosen in der City, um das Projekt eines riesigen Apartment- und Einkaufskomplexes, der auf der Kippe steht, und um einen Spendensammler der Demokraten, der obdachlose junge Männer für Sex unter Drogen setzt. Und viele der Schauergeschichten sind nicht so geheim, wie sie sein sollten. „Everybody Knows“ heisst „Alles schweigt“ im Original. „Niemand sagt was. Aber alle tuscheln.“
Es ist ein rasend schneller, packender Noir-Thriller, der einen mitreisst in einen Strudel von gnadenlosen Machtspielen in der „Stadt der Engel“, in der hinter den glänzenden Fassaden das Böse lauert. Etwas überdreht, ziemlich brutal, aber auch mit Humor. Und dabei gibt es immer wieder leicht spöttische Blicke auf die Eigenheiten der Stadt, wie: „Die Götter haben den Verkehr in L. A. erfunden, um die Menschen zu lehren, dass Widerstand zwecklos ist.“
Wertung: 4,6 / 5
Jordan Harper: Alles schweigt
(Original: Everybody Knows. Mullholland Books, New York 2023)
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Ullstein, Berlin 2023. 376 Seiten, 22,99 Euro/ca. 33 Franken
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Jordan Harper,
geboren 1976 in Springfield, Missouri, wo er auch aufgewachsen ist, war Musikjournalist und Filmkritiker, unter anderem Musikredaktor bei der „Riverfront Times“ in St. Louis, Missouri, und Kritiker für die „Village Voice“ in New York.
Seit 2010 arbeitet er als Autor fürs Fernsehen und war Hauptautor der TV-Serien „The Mentalist“ und „Gotham“, dann arbeitete er an der Serie „L.A. Confidential“, die auf dem gleichnamigen Kriminalroman von James Ellroy basiert. Er veröffentlichte zwei Bände mit Kurzgeschichten. „She Rides Shotgun“ (Deutsch: „Die Rache der Polly McClusky“, 2018) war 2017 Harpers erster Roman; er schrieb auch das Drehbuch für eine Verfilmung dieses Romans. „Everybody Knows“ („Alles schweigt“) ist nun sein zweiter Roman.
Jordan Harper lebt mit seiner Frau Elizabeth in Los Angeles.