Ein Haus des Todes
Der erste Satz
Sie würde sich nie daran gewöhnen, Einsteins Hundescheisse einzusammeln.
Krimi der Woche ∙ N° 01/2025 ∙ Hanspeter Eggenberger
Die Familie Skelf in Edinburgh: Matriarchin Dorothy, ihre Tochter Jenny und deren Tochter Hannah. Dorothys Mann ist vor zwei Jahren verstorben, jetzt ist sie mit einem etwas jüngeren schwarzen Kriminalpolizisten befreundet. Jenny liebt einen Maler, ihr Ex-Mann und Hannahs Vater Craig ist ein flüchtiger Mörder. Hannah will ihre Freundin Indy heiraten. Alle drei führen das alte Familienunternehmen, ein Bestattungsinstitut, fort, dazu auch noch eine Privatdetektei. Die Zentrale ihrer Unternehmungen befindet sich in der Küche des Skelf-Hauses: ein Whiteboard für die Bestattungen, eines für die Ermittlungen.
Diese Konstellation mag einem ziemlich gekünstelt konstruiert erscheinen. Ist sie auch. Doch es geht hier ja auch nicht um eine Sozialreportage, sondern um Kriminalliteratur. Mit dieser aussergewöhnlichen Familie, die so im realen Leben auch in Schottland gewiss nicht zu finden ist, im Mittelpunkt baut der versierte schottische Noir-Autor Doug Johnstone ein kleines Universum auf, das ihm die Möglichkeit gibt, ebenso spannende und unterhaltsame wie intelligente und tiefsinnige Geschichten über fast alle Abgründe und Höhen des Lebens zu erzählen. In „Einbalsamiert“ tut er das – nach „Eingeäschert“ und „Eingefroren“ – bereits zum dritten Mal; in Grossbritannien ist die Reihe mit bisher bereits sechs Bänden sehr erfolgreich.
Wie in den Vorgängern geht es auch im dritten Skelf-Band nicht um einen einzelnen Fall, sondern es gibt eine ganze Reihe von Handlungssträngen, die sich einerseits aus den beiden Gewerben ergeben, die die Familie betreibt, anderseits aber auch aus der Familie und ihren Verwicklungen. Da geht es etwa um zwei schlecht einbalsamierte Füsse, die im Park nahe dem Skelf-Haus gefunden werden, die aber nicht zueinander passen. Dorothy wird in diesem Park von einem mächtigen Jaguar – tatsächlich eine Raubkatze, nicht ein Auto – angefallen, der Familienhund Einstein (die Katze der Skelfs heisst übrigens Schrödinger) wird getötet. Jennys Ex Craig, der flüchtige Mörder, hat die Tochter seiner zweiten Frau entführt. Hannah, die neben der Mitarbeit in den Familienbetrieben Physik studiert, wird von einem Mitstudenten beauftragt, herauszufinden wer ihm fingierte Mitteilungen aus dem All schickt. Der Vater der von Dorothy im Haus aufgenommenen Abi, der gleichzeitig ihr Grossvater ist, erhängt sich am Baum vor dem Haus.
Johnstone erzählt diese und viel mehr kleine Geschichten mit trockenem Humor, spannend und unterhaltsam im Wechsel aus der Sicht der drei Generationen Skelf-Frauen und kombiniert sie zu einem faszinierenden Panoptikum des Lebens. Vor allem in diesem Band vermittelt uns der studierte Physiker auch fachkundig, aber nie langweilig, allerlei Wissen aus der Welt der Astrophysik.
Neben all den Aufregungen läuft bei den Skelfs immer auch das normale Begräbnisgeschäft. „Die Beerdigungen“, heisst es einmal in einem Jenny-Kapitel, „ständiger Tod auf ihrer Türschwelle, eine schwarze Naht, die durch das Leben verlief, trotz all ihrer Versuche, wegzukommen. Ihr Zuhause war ein Haus des Todes, aber mit der Zeit war es ihr ans Herz gewachsen.“
Wertung: 4 / 5
Doug Johnstone: Einbalsamiert
(Original: The Great Silcence. Orenda Books, London 2021)
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. Mit einem Nachwort von Sonja Hartl
Polar Verlag, Stuttgart 2024. 397 Seiten, 26 Euro/ca. 36 Franken
Bestellen bei Amazon
Doug Johnstone,
geboren 1970, wuchs in der an der schottischen Ostküste zwischen Edinburgh und Aberdeen gelegenen Kleinstadt Arbroath auf, beide Elternteile waren Lehrer. Schon als Schüler hat er gerne Geschichten geschrieben, doch nach der Schule studierte er an der Universität in Edinburgh Physik und promovierte in Atomphysik. Gleichzeitig hat er auch immer geschrieben, zunächst vor allem als Musikjournalist, da er auch selbst Musiker ist. Nach dem Studium arbeitete er als Ingenieur für Radarsysteme; da ihm das aber keinen Spass machte, wurde er schliesslich Journalist.
Mit Anfang 30 begann er an Romanen zu arbeiten; inzwischen zählt er zu den besten Krimiautoren Schottlands. Seit 2006 veröffentlichte er rund 20 Romane. Auf Deutsch ist 2021 „Der Bruch“ („Breakers“, 2019) erschienen, drei seiner früheren Romane sind ebenfalls ins Deutsche übersetzt worden: „Smokeheads“ (2012), „Hit & Run“ (2015) und „Gone Again“ (2015; Deutsch: „Wer einmal verschwindet“; die anderen beiden erschienen auf Deutsch mit dem Originaltitel). Mit „Eingeäschert“ (2022; Original: „A Dark Matter“, 2019) startete er erstmals eine Serie, die er mit „Eingefroren“ („The Big Chill“, 2020) fortsetzte. Der dritte Band, „The Great Silence“ (2021) ist jetzt als „Einbalsamiert“ erschienen. Auf Englisch sind bereits weitere Titel in der Reihe erschienen und mehr sind in Vorbereitung.
Als Musiker hat Doug Johnstone in verschiedenen Bands gespielt, darunter Northern Alliance, die mehrere Alben veröffentlichten. Auch als Singer/Songwriter unter seinem eigenen Namen veröffentlichte er Musik. Seit ein paar Jahren ist er Schlagzeuger bei den Fun Lovin’ Crime Writers, einer Band, die ausschliesslich aus schottischen Krimiautoren besteht. Neben Johnstone sind da Val McDermid, Mark Billingham, Chris Brookmyre, Stuart Neville und Luca Veste dabei. Ausserdem ist Johnstone Spieler und Manager des Scotland Writers Football Club, einer Schriftsteller-Fussballmannschaft.
Doug Johnstone ist ein vehementer Befürworter der Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Edinburgh.