Der erste Serienmörder
Der erste Satz
Er genoss es, auf der Klippe zu stehen und hinauszusehen auf den abendlichen Ozean, während Nebelschwaden aufzogen, um wie Schleier aus Gaze sein Gesicht zu berühren.
Krimi der Woche ∙ N° 35/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger
Hammett, Chandler, Cain, vielleicht noch Jim Thompson: Diese Grössen des „hardboiled“, des hartgesottenen Kriminalromans sind bekannt für diese Literaturgattung. Aber Hughes? Dorothy Hughes? Obwohl zumindest im deutschen Sprachraum nur wenig bekannt, gehört diese Autorin genauso zu diesem Kanon wie all die Männer. In den Vierzigerjahren, noch vor Patricia Highsmith, schrieb sie Romane, die heute dem Subgenre Noir zugeordnet werden. Gerademal zwei ihrer 14 Romane sind vor vierzig Jahren auf Deutsch erschienen. Und gingen rasch vergessen. Die Neuübersetzung ihres bekanntesten Romans ermöglicht nun einen Blick auf diese spannende Schriftstellerin.
„Ein einsamer Ort“ kennt man vor allem durch die Verfilmung von Nicholas Ray aus dem Jahr 1950: „In a Lonely Place“. Doch der Film mit Humphrey Bogart in der Hauptrolle als Dix Steele erzählt ein eine andere Geschichte als der Roman. Denn ein Star wie Bogart konnte damals nicht ein Serienmörder sein. Und ohnehin war der Plot zu verstörend.
Im Roman ist Dix, der im Zweiten Weltkrieg Jagdflieger war, ein Psychopath. Er hadert damit, dass er nicht aus einer reichen Familie kommt und darum nicht sorglos in den Tag hineinleben kann. Und er hasst Frauen. Eigentlich sucht Dix, oder macht sich das mindestens vor, eine Frau fürs Leben. Doch er fühlt sich ständig zurückgewiesen. „Sie waren alle gleich. Betrügerinnen, Lügnerinnen, Huren. Selbst die Frommen warteten nur auf die Gelegenheit, zu betrügen, zu lügen, herumzuhuren.“
Im Monatsrhythmus erwürgt er jeweils eine Frau. Das verbreitet Angst und Schrecken in Los Angeles und dessen noblen Vororten. Im Alltag gibt Dix den charmanten Lebemann. Seinen Hass versteckt er hinter einem Lächeln. Doch er muss immer wieder morden. „Wer zum Teufel wollte schon glücklich sein? Erregung, Macht und glühendes Verlangen, darauf kam es an, sie liessen einen vergessen. Glück war harmlos dagegen.“ Dass sein bester Kriegskamerad nun bei der Polizei im Fall des Würgers ermittelt, findet er besonders prickelnd. Am Ende sind es Frauen, die spüren, das mit ihm etwas nicht stimmt. Das Selbstbewusstsein, das der vom Krieg traumatisierte Mann im Grunde nur spielt, zerbröckelt zusehends. Angst und Paranoia wachsen.
Faszinierend ist, wie raffiniert Dorothy Hughes diese Geschichte erzählt. Immer aus der Sicht von Dix, der aber nicht Icherzähler ist. Und ohne Mordszenen. Man erlebt am Ende eines Kapitels höchstens mit, wie Dix das eine oder andere Opfer aussucht. Im nächsten Kapitel liest er schon in der Zeitung über den Mord. Hughes ist übrigens eine Pionierin: „Ein einsamer Ort“ ist einer der ersten Serienmörderromane, wenn nicht der erste überhaupt.
Wertung: 4,7 / 5
Dorothy B. Hughes: Ein einsamer Ort
(Original: In a Lonely Place. Duell, Sloan and Pearce, New York 1947)
Aus dem Englischen von Gregor Runge
Atrium Verlag, Zürich 2022. 269 Seiten, 22 Euro/ca. 30 Franken
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Dorothy B.Hughes,
geboren 1904 in Kansas City, Missouri als Dorothy Belle Flanagan, gestorben 1993 in Ashland, Oregon, wollte schon als Kind Schriftstellerin werden. Sie studierte Journalismus an der University of Missouri in Columbia. Sie besuchte auch Kurse an der University of New Mexico in Albuquerque und an der Columbia University in New York.
1931 veröffentlichte sie ihr erstes Buch, den Gedichtband „Dark Certainity“. Ihr erster Kriminalroman war 1940 „The So Blue Marble“. Sie veröffentlichte insgesamt 14 Romane, die meisten zwischen 1940 und 1952. Sie war eine der wichtigsten Autorinnen im Bereich der von Männern dominierten „Hardboiled Literature“; heute wird sie auch dem Noir zugeordnet. Ihr bekanntestes Werk ist der jetzt in neuer Übersetzung wiederveröffentlichte Roman „Ein einsamer Ort“, auch weil er als Vorlage für den berühmten Film „In a Lonely Place“ von Nicholas Ray mit Humphrey Bogart aus dem Jahr 1950 diente. Die Handlung wurde gegenüber dem Buch jedoch stark verändert. Verfilmt wurden auch ihre Romane „The Fallen Sparrow“ (1943, mit John Garfield und Mauren O’Hara) und „Ride the Pink Horse“ (1947 von und mit Robert Montgomery).
Hughes war auch als Literaturkritikern unter anderem für die „Los Angeles Times“ tätig, arbeitete in den Vierzigerjahren als Drehbuchautorin in Hollywood und veröffentlichte 1978 eine Biografie über den Krimi-Autor Erle Stanley Gardner („Perry Mason“).
Sie war von 1932 bis zu seinem Tod 1975 verheiratet mit dem Geschäftsmann Levi Allen Hughes. Das Paar, das viele Jahre in Santa Fe, New Mexico lebte, hatte drei Kinder. Dorothy Hughes starb im Alter von 88 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls.