Der Inspector, der zuschlägt statt diskutiert

Die ersten Sätze
R & B wurden sie genannt. Wenn Chief Inspector Roberts den Rhythmus gab, dann war Brant der dunkelste Blues.

Krimi der Woche ∙ N° 34/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger

Chief Inspector Roberts hat mit über 60 noch mehr Energie als viele jüngere Polizisten. Und zudem eine neue Haarfarbe, „schwärzer als jede Politikerseele“. Spurt ein Untergebener nicht gleich, brüllt er herum, was das Revier in Südostlondon für eine „Scheisskommune“ sei, man solle ihn in ihn Ruhe lassen mit dem „Hippiescheiss“. Noch schlimmer ist Inspector Brant, der von sich sagt: „Ich bin wütend auf die Welt gekommen, dann ist es schlimmer geworden.“ Er könnte der Cop sein, für den das Akronym „A.C.A.B“ für „All cops are bastards“ erfunden wurde. Er ist durchtrieben, korrupt, gewalttätig, rassistisch, sexistisch. Er hält sich nicht mit langen Reden auf, sondern schlägt lieber gleich zu.

Brant und Roberts sind die Protagonisten einer siebenteiligen Romanreihe des irischen Noir-Altmeisters Ken Bruen, die 1998 bis 2007 erschienen ist. Drei Bände sind bereits auf Deutsch erschienen, jetzt liegt der erste Band der Reihe unter dem Titel „Saubermann“ vor. Brant und Roberts sind darin gleich mit zwei bizarren Mordserien konfrontiert. Jemand tötet Kriminelle, etwa Drogenhändler, verbrennt sie und hängt die Leichen an Strassenlampen auf. Und ein Killer nimmt sich bekannte Cricket-Spieler vor.

Brant braucht einen Erfolg. „All die kleinen Nebeneinnahmen, Betrügereien, Vernehmungsmethoden, seine ganze Art, hundertpro wäre er noch vor Jahresende geliefert.“ Die Chefs haben ihn auf dem Radar. Ihm droht der Rausschmiss. „Es sei denn, sie zogen das grosse Ding ab, die legendäre Saubermann-Verhaftung, von der jeder Bulle träumt. Den waschechten Oscar, den Nobelpreis der Kriminologie. So was wie den Yorkshire Ripper festzunageln oder die Arschgeige Lucan zu finden. Dann wäre alles andere vom Tisch gewischt, man stünde im Glanzlicht, würde in Talkshows auftreten.“

Irrwitzig, wild und wüst ist die Story, die Ken Bruen auftischt. Sie setzt sich radikal und schonungslos mit Polizeigewalt auseinander, wie es sie im London der Neunzigerjahre tatsächlich gab. Bei aller Brutalität ist der Roman aber, wie gewohnt bei Bruen, auch höchst komisch. Und voller Reverenzen an Literatur, Film und Musik. Hier etwa an den Film Noir der Vierziger- und Fünfzigerjahre. Und vor allem an den legendären US-Autor Ed McBain, der mit seinen 55 Büchern über das 87. Polizeirevier für den Polizeiroman Massstäbe setzte.

Der Ire Ken Bruen lebte in London, als er diesen Roman schrieb. Dass sein Brant ein halber Ire ist, gibt ihm Gelegenheit, über die „englische Urangst“ zu spotten: „Dass die Iren erstens eine Sippe, zweitens Wilde, drittens Irre sind.“

Wertung: 4,6 / 5

Ken Bruen: Saubermann
(Original: A White Arrest, The Do-Not Press, London 1998)
Aus dem Englischen von Karen Witthuhn. Mit einem Nachwort von Alf Mayer
Polar, Stuttgart 2021. 224 Seiten, 14 Euro/ca. 22 Franken

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Bild: PD

Ken Bruen,

geboren 1951 in Galway, Irland, promovierte am Trinity College in Dublin über „Metaphysik im urbanen Umfeld“. Er unterrichtete während 25 Jahren Englisch in Japan, Afrika, Südamerika und Südostasien. 1979 wurde er in Rio de Janeiro nach einer Kneipenschlägerei festgenommen und verbrachte vier Monate im Gefängnis.

Seit 1993 veröffentliche er mehr als drei Dutzend Bücher, und er gilt im englischen Sprachraum als einer der wichtigsten Vertreter des „Irish Noir“. Im deutschen Sprachraum ist er vor allem für seine schräge Serie um den irischen Ermittler und schweren Alkoholiker Jack Taylor bekannt (bis heute 17 Bände, die ersten 9 sind ins Deutsche übersetzt von Harry Rowohlt im Atrium Verlag erschienen), die Vorlage für eine TV-Serie war. Auf einem Roman von Bruen basierte die in Schweden produzierte TV-Serie „100 Code“, und zwei weitere Romane wurden fürs Kino verfilmt. Er schrieb zusammen mit dem bekannten amerikanischen Autor Jason Starr auch vier Romane um Max Fisher und Angela Petrakos (2006 bis 2016; die ersten drei Bände sind bei Rotbuch auf Deutsch erschienen).

Die Serie um Inspector Brant, deren erster Band „The Guards“ jetzt auf Deutsch vorliegt („Saubermann“), umfasst sieben Romane, die im Original von 1998 bis 2007 erschienen sind. Drei Titel davon wurden schon zwischen 2015 und 2017 auf Deutsch publiziert (Polar Verlag).

Ken Bruen ist verheiratet und hat eine Tochter. Er lebt und arbeitet seit vielen Jahren wieder in der Stadt, in der er geboren wurde, der Hafenstadt Galway an der irischen Westküste.


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