„Auf Misstrauen kann man vertrauen“
Der erste Satz
Der Mann fällt sofort auf.
Krimi der Woche ∙ N° 14/2024 ∙ Hanspeter Eggenberger
John Antink war Geheimagent, dann Chef des niederländischen Geheimdienstes. Ende der 1980er Jahre hat er von Zürich und Dresden aus einflussreichen Russen geholfen, Millionen aus dem Land zu transferieren und in sicheren Fondkonstruktionen zu bunkern. Die Holländer erwarteten, durch diese Hilfeleistungen zu Informationen aus den innersten Machtzirkeln der Sowjetunion zu kommen.
Inzwischen ist John pensioniert. Zusammen mit drei alten Freund:innen, dem Repair Club, repariert er an wechselnden Orten in Den Haag kaputte Haushaltsgeräte. Sie verstehen das als Beitrag an das soziale Leben in ihrer Stadt und für die Nachhaltigkeit. Doch John weiss, dass „die Vergangenheit nie vorbei ist“. Und so gilt es nicht nur kaputte Toaster zu flicken, sondern zuweilen auch alte Agentenangelegenheiten in Ordnung zu bringen. Was schwierig wird, als eines Tages ein Mann mit einer alten Schreibmaschine aus der DDR beim Repair Club auftaucht, eine Waffe auf John richtet und ihn Max Danzler nennt. Das war Johns Deckname bei den Geschäften mit den Russen in Zürich und in Dresden.
So beginnt der Thriller „Repair Club” des niederländischen Autors Charles den Tex. Auf gegen fünfhundert Seiten entwickelt sich daraus eine ebenso komplexe wie höchst spannende Geschichte, die mit politischen Implikationen bis in die heutige Zeit gespickt ist. Denn Johns sowjetischer Verbindungsmann in Dresden war ein junger Sowjetagent. Ein kleiner Mann, der heute in Russland an der Macht ist. Und John weiss: „Von Moskau aus werden alte Spuren gelöscht. Jedes Jahr verschwinden Leute, stellt sich heraus, dass wieder jemand gestorben, überfahren, von einer Brücke gefallen oder Opfer eines Raubüberfalls oder einer Vergiftung geworden ist.“
Raffiniert verwebt den Tex tatsächliche Ereignisse mit seiner cleveren Story. Rückblenden erhellen den historischen Kontext. Nebenbei geht es auch darum, wie im Internet-Zeitalter die sozialen Medien für die Verbreitung von Fake News und Desinformation genutzt werden. Was früher hinter geschlossenen Türen ablief, findet jetzt öffentlich statt. Die Digitalisierung verändert auch sonst die Geheimdienstarbeit. „Ich brauche nicht mehr nach Damaskus, um zu wissen, was in Syrien vor sich geht“, belehrt seine Nachfolgerin John, der immer noch alles analog und mit viel Laufarbeit angeht.
Was immer gleich bleibt: Bei Spionageaktivitäten jeder Art geht es um Lug und Trug, um Verrat, und vertrauen kann man niemandem, „nur dir selbst, und auch das nicht immer“, wie John einmal leicht selbstironisch anmerkt. „Auf Misstrauen kann man vertrauen“, ist eines seiner Prinzipien. Von denen er etliche auf Lager hat, etwa seine „vier Grundregeln“: „Man muss warten können, man muss den Mund halten können, man darf nie übertreiben, und man muss gut lügen können.“ Manchmal, so muss der alte Agent schmerzhaft lernen, hilft auch all das nicht.
(PS: Immer mal wieder fällt mir auf, dass offenbar Menschen Klappentexte für Bücher schreiben, die sie nicht wirklich gelesen haben. Hier ist es die Buchrückseite: Antink werde „mit Geheimnissen aus seiner Zeit als DDR-Spion in den 1980ern konfrontiert“, heisst es da. Tatsächlich war der Protagonist als niederländischer Agent in der DDR tätig. Vielleicht ist die Bezeichnung „geheim agent in Oost-Duitsland“ aus der niederländischen Buchbeschreibung falsch übersetzt worden. Aber das müsste jemandem auffallen, bevor das Buch in Druck geht. Was aber niemanden davon abhalten soll, dieses wirklich tolle Buch zu lesen!)
Wertung: 4,4 / 5
Charles den Tex: Repair Club
(Original: De Repair Club. HarperCollins Holland, Amsterdam 2022)
Aus dem Niederländischen von Simone Schroth
HarperCollins, Hamburg 2024. 492 Seiten, 14 Euro/ca. 21 Franken
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Charles den Tex,
geboren 1952 in Camberwell, einem Vorort von Melbourne in Australien, kehrte als 6-Jähriger mit seinen holländischen Eltern zurück in die Niederlande. Sein Vater, Emile den Tex (1918–2012), war ein international bekannter Geologe und Buchautor; er forschte insbesondere in den Bereichen Petrologie und Vulkanologie, schrieb aber auch Gedichte und Kurzgeschichten.
Charles den Tex studierte in London Fotografie und Film, später arbeitete er in Paris als Englischlehrer, bevor er als Texter in einer Werbeagentur in Amsterdam tätig war. 1989 begann er als Kommunikationsberater zu arbeiten.
Seinen ersten Roman „Dump“ publizierte den Tex 1995, sein zweiter Roman „Claim“ (1996) wurde 2001 verfilmt. Der Roman „De macht van meneer Miller“ (2005; Deutsch: “Die Macht des Mr. Miller”, 2007, Grafit) war die Vorlage für ein vierteilige TV-Serie (2010). 2013 wurde auch sein Roman „Cel“ (2008; Deutsch: “Die Zelle”, 2010, Grafit) als TV-Serie verfilmt. Insgesamt hat er bisher mehr als zwanzig Bücher veröffentlicht, mehrheitlich Kriminalromane, und er wurde für sein Werk mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Mehrere Bücher wurden übersetzt ins Französische, Italienische, Türkische und Deutsche. Er hat zudem mehrere Theaterstücke aus dem Englischen ins Niederländische übersetzt.
Charles den Tex lebt in Bronckhorst, einer kleinen Stadt, die aus mehreren kleinen Gemeinden besteht, in der niederländischen Provinz Gelderland.