Wer mit der Schatulle zu tun hatte, wurde ermordet

Der erste Satz
Als Lisa Lee verschwand, hatte sie ein Jahr lang auf ihrem YouTube-Kanal Kurzfilme gepostet.

Krimi der Woche ∙ N° 25/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger

Vor vier Jahren überraschte Denise Mina in ihrem Roman „Klare Sache“ mit einem „für sie eher untypischen ebenso raffinierten wie turbulenten Cocktail von Geschichten“, wie ich damals schrieb. Besonders gefallen hatten mir auch die Reflexionen über das Geschichtenerzählen, das Fabulieren.

Jetzt hat die schottische Noir-Meisterin dem damals als Standalone betrachteten Krimi um die True-Crime-Podcasterin Anna McDonald eine Fortsetzung gegeben: In „Fester Glaube“ erzählt Mina – mit Anna als Icherzählerin sowie eingestreuten Podcast-Texten – eine komplexe Geschichte, die mit dem Verschwinden von Lisa Lee beginnt. Die hat auf YouTube Urbex-Filme gepostet; unter Urban Exploration, oder eben kurz Urbex, versteht man das Erkunden verlassener Orte. Nachdem sie einen Film aus einem zerfallenden französischen Schloss gepostet hatte, ist sie spurlos verschwunden.

Ihr Verschwinden scheint im Zusammenhang mit einer silbernen Schatulle zu stehen, bei der es sich um ein uraltes religiöses Artefakt handeln soll, das sich, neben anderen Gegenständen, noch im von seinen letzten Bewohnern offenbar Hals über Kopf verlassenen Schloss befunden hatte. Auf diese Schatulle, die vor Jahrzehnten verschwunden war, sind verschiedene Kreise scharf. Als sie im Katalog für eine Auktion in Paris auftaucht, ist nicht nur in religiösen Kreisen sozusagen der Teufel los. Und da haben Anna und ihr Podcast-Partner Fin bereits herausgefunden, dass fast alle Menschen, die mit dieser Schatulle zu tun hatten, ermordet worden sind.

Das ergibt eine ereignisreiche und leidlich spannende Geschichte, die die Protagonisten aus Schottland nicht nur nach Paris, sondern auch nach Rom führt. Allerdings vermisst man dabei etwas den fröhlichen Schwung und die zuweilen poetische Note von „Klare Sache“. Und obwohl verschiedene Themen – von der kommunistischen Herrschaft in Ungarn, wo die Schatulle herkam, über den Umgang mit religiösen Reliquien bis hin zum Kunsthandel – angesprochen werden, wirkt die Geschichte weniger vielschichtig. Unterhaltsam ist sie aber alleweil. Dies dank Minas kritischem Blick auf die Gesellschaft in Kombination mit ihrer Fabulierlust.“

Wertung: 3,3 / 5

Denise Mina: Fester Glaube
(Original: Confidence. Harvill Secker, London 2022)
Aus dem Englischen von Karen Gerwig
Ariadne im Argument Verlag, Hamburg 2023. 298 Seiten, 24 Euro/ca. 34 Franken

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Bild: Tim Duncan (CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Denise Mina,

geboren 1966 ins Glasgow, Schottland, wuchs in Glasgow, Paris, London, Invergordon, Bergen und Perth auf. Ihr Vater war Ingenieur in der Erdölbranche, weshalb die Familie in 18 Jahren 21 Mal umzog. Denise Mina verliess die Schule mit 16 Jahren und jobbte in einer Fleischfabrik, in Bars, als Köchin und als Krankenpflegehelferin.

Sie besuchte eine Abendschule, um Jura an der Glasgow University Law School studieren zu können, wobei sie, wie sie selbst sagt, ihr Stipendium dazu missbraucht habe, ihren ersten Roman zu schreiben: „Garnethill“ (Deutsch: „Schrei lauter, Maureen“, 1999) erschien 1998 und gewann den John Creasy Dagger der Crime Writers’ Association für den besten Erstlingskriminalroman. Auf die damit begonnene Garnet-Trilogie (1998–2002) folgte eine dreiteilige Reihe um Paddy Meehan (2005–2007), gefolgt von der Alex-Morrow-Reihe mit fünf Bänden (2009–2014). In „Fester Glaube“ („Confidence“, 2022) fährt sie mit dem Personal von „Conviction“ (2019; Deutsch: „Klare Sache“) fort.

Insgesamt hat Denise Mina bisher mehr als ein Dutzend Romane veröffentlicht und gilt als „Queen of Tartan Noir“; als Tartan Noir wird die schottische Noir-Kriminalliteratur bezeichnet, die vor allem von William McIlvanney mit „Laidlaw“ (1977) begründet wurde.

Daneben ist die engagierte Feministin auch Autorin von Shortstorys, Bühnenstücken und Comics, und sie schreibt für TV und Radio. 2014 wurde sie in die Hall of Fame der britischen Crime Writers’ Association aufgenommen. Sie lebt in Glasgow.


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