Ein Massaker an Pferden gibt Rätsel auf

Der erste Satz
Kurz vor Sonnenaufgang standen Wolkenfetzen am Himmel, se übersäten den Horizont als rostbrauen Silhouetten.

Krimi der Woche∙ N° 09/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Die Szenerie vor der Alec Nichols steht, ist grausig. Der Polizeidetektiv in einer abgelegenen englischen Küstenstadt steht auf einem Feld, in dem die Köpfe von 16 getöteten Pferden in einem grossen Kreis in die Erde vergraben wurden, jeweils ein Auge blickt zum Himmel auf. Um das rätselhafte Verbrechen zu untersuchen, wird der lokalen Polizei die Tierforensikerin Cooper Allen zu Hilfe geschickt.

„Sechzehn Pferde“ heisst der Debütroman des 32-jährigen Schotten Greg Buchanan, der davor erfolgreich als Videogameautor tätig war. Auch mit seinem ersten Roman reüssiert er: Er wird in 17 Sprachen übersetzt, um die Filmrechte rissen sich die Produzenten.

Die eigenwillige Mischung aus Kriminalroman und Schauergeschichte, die durchgehend düster und geheimnisvoll ist, lebt stark von der poetischen Sprache. Und vom Schauplatz. Ilmarsh ist ein fiktiver Ort an der Küste, der schon bessere Zeiten gesehen hat. Hotels stehen leer, Touristen kommen kaum noch, der Pier, einst der Vergnügungsplatz im Städtchen, steht seit Jahren halb abgebrannt am Meer, die Arbeitsplätze in Ölförderung und Fischfang gibt es nicht mehr. Ein paar Farmer wursteln sich mehr schlecht als recht durch. Die Menschen, die noch hier leben, sind Einzelgänger, Aussenseiter. Verletzte Seelen noch und noch.

Die getöteten Pferde sind an einem lokalen Festtag aus Ställen und Gehegen vor Ort verschwunden. Sie waren früher am Tag von Tierärzten sediert worden, damit sie vom Feuerwerk nicht erschreckt würden. Nach dem Massaker geschehen seltsame Dinge. Menschen töten sich selbst. Menschen verschwinden, auch Alecs 18-jähriger Sohn. Alec selbst und andere, die mit den Pferdeköpfen in Kontakt waren, erkranken an Milzbrand. Sind auf einer nahen Insel etwa Tests der Regierung ausser Kontrolle geraten?

Cooper ist überzeugt, dass wer Tieren Schlimmes antut, das hemmungslos auch Menschen antun kann. Sie wird mit weiteren Ermittlungen beauftragt, von wem, weiss sie nicht genau, vermutlich vom Inlandgeheimdienst. Doch der Fall ist vertrackt: „Jeder, der uns helfen könnte, ist tot oder lügt oder hat sich aus dem Staub gemacht.“

Ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung durchzieht die zuweilen gespenstische Geschichte. Dabei geht es immer wieder um die Frage, was Menschen zu brutalen Tätern macht. „Die Leute glaubten gern, Fiktionen wären das Problem – dass Filme, Fernsehen, Games und Comics die Menschen gegenüber Schrecken und Gewalt abstumpfen liessen“, heisst es einmal. „Doch das eigentliche Problem war die Realität.“

Wertung: 3,9 / 5

Greg Buchanan: Sechzehn Pferde
(Original: Sixteen Horses. Mantle, London 2021)
Aus dem Englischen von Henning Ahrens
S. Fischer, München 2022. 443 Seiten, 22 Euro/ca. 33 Franken

Bestellen bei Amazon

 

Bild: PD

Greg Buchanan,

geboren 1989 in Schottland, schloss die Unversity of Cambridge mit einem BA in Englisch ab, die University of East Anglia in Norwich mit dem Master in Kreativem Schreiben, und er promovierte am King’s College in London über Identifikation und Ethik. 2014 veröffentlichte er eine Arbeit über den experimentellen britischen Schriftsteller und Filmemacher B. S. Johnson (1933–1973).

Ab 2016 arbeitete er im Videogamebereich. Er schuf insbesondere die Games „Paper Brexit“ (2016) und „American Election“ (2020). Zudem arbeitete an verschiedenen weiteren Games mit. „Sixteen Horses“, jetzt auf Deutsch erschienen („Sechzehn Pferde), war 2021 sein erster Roman. Der Titel war und ist sehr erfolgreich. Um die Film- und Fernsehrechte kämpften Produktionsfirmen einen Bieterwettkampf, und die Buchrechte für 17 Sprachen wurden verkauft. Ein grösserer Verlag sicherte sich die Rechte für die nächsten zwei Bücher. Das erste davon, „Consumed“, mit der Tierforensikerin Cooper Allen aus „Sechzehn Pferde“, soll 2023 erscheinen.

Greg Buchanan lebt in Scottish Borders, einer sogenannten Council Area im Süden von Schottland.


Zurück
Zurück

Der Koch ist auch ein Killer

Weiter
Weiter

Brutalität und religiöse Heuchelei im Sunshine State