Wer bedroht die erfolgreiche Mamabloggerin?

Der erste Satz
Kann sein, dass ich gerade sterbe.

Krimi der Woche ∙ N° 24/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger

Angefangen hat die ehemalige Redaktorin Emmy Jackson mit einem mässig beachteten Blog über ihre Schuhe. Inzwischen ist sie, nachdem sie Mutter geworden ist, als Insta-Mum zum Star geworden. Mehr als eine Million Followerinnen, lukrative Werbeverträge, regelmässige Auftritte, wachsende Medienpräsenz. Für ihre Kinder, die dreijährige Coco und den Babybuben Bear, hat die als Mamabär firmierende Mamabloggerin kaum noch Zeit – ausser bei Fotoshootings mit ihnen. Ihr Mann Dan, der seit acht Jahren an seinem zweiten Roman sitzt, muss da mehr und mehr einspringen.

Zu Beginn des Romans „Like/Hate“ des unter dem Pseudonym Ellery Lloyd gemeinsam schreibenden englischen Ehepaars Collette Lyons und Paul Vlito scheint alles wunderbar zu sein im Hause Jackson in London. Die Familie ist happy, das Geschäft läuft. Dan zweifelt zwar zuweilen daran, ob es gut für die Kinder ist, wie sie zusammen mit ihrer Mutter zu Social-Media-Stars werden. Und er weiss auch, dass das, was Emmy ihren Followerinnen als authentisch vorspielt, nur „ein Mischmasch aus Erfindungen und Auslassungen und Verfälschungen und Halbwahrheiten“ ist. Doch da seine erfolgreiche Frau für den gehobenen Lebensunterhalt der Familie aufkommt, hält er sich mit Kritik zurück. Unterstützt wird Mambär von einer äusserst geschäftstüchtigen Agentin.

Der Erfolg bringt nicht nur Neider. Böse Kommentare gehören neben mehrheitlich euphorischer Zustimmung dazu. Damit kann Emmy umgehen. Doch schleichend kommt es immer dicker. Nachdem ihr ein Laptop gestohlen wird, tauchen private Bilder der Familie im Internet auf. Und eine alte Freundin, deren tragische Geschichte sich Emmy aneignet, um eine TV-Karriere voranzutreiben, vertraut sich einer Journalistin an. Ein veritabler Shitstorm bricht über Mamabär herein. Und im Hintergrund lauert auch noch bedrohlich eine Rächerin, deren Tochter leichtfertige Mamabär-Ratschläge für voll genommen hat – mit fatalen Folgen.

Erzählt wird die Geschichte wechselnd aus der Sicht von Emmy und Dan, dazwischen baut sich nach und nach der Blick der Rächerin auf Emmy auf. Die weitschweifigen Ausführungen zum Familienleben mit Kindern mögen bei Eltern von kleinen Kindern, die sich in manchen Situationen im Roman wiedererkennen, gut ankommen, wer dafür weniger sensibilisiert ist, findet sie manchmal etwas langatmig. Kommt dazu, dass das Autorenpaar generell zu ausführlichen Erklärungen neigt. Doch die sozialen Medien und ihre Möglichkeiten Auswirkungen sind ein zeitgemässes und spannendes Thriller-Thema, das im Genre noch viel zu wenig bearbeitet wird. Da liegt das Hauptverdienst dieses Romans.

Wertung: 3 / 5

Ellery Lloyd: Love/Hate
(Original: People Like Her. Mantle/Pan Macmillan, London 2021)
Aus dem Englischen von Susanne Wallbaum
Knaur, München 2021. 397 Seiten, 14,99 Euro/ca. 23 Franken

Bestellen bei Amazon

 

Bild: Alicia Clarke

Ellery Lloyd

ist das Pseudonym des englischen Ehepaars Collette Lyons und Paul Vlitos. Es lehnt sich locker an den Namen Ellery Queen an, unter dem zwei amerikanische Cousins im letzten Jahrhundert erfolgreich Kriminalromane schrieben.

Collette Lyons ist Journalistin und Redaktorin, war unter anderem für „Stylist“ und die britische „Elle“ tätig und schrieb für „The Guardian“, „The Telegraph“ und „Daily Mail“. Zudem publizierte sie zwei Reisebücher.

Paul Vlitos lehrt seit 2011 an der University of Surrey in Guildford englische Literatur und kreatives Schreiben; davor war er unter anderem an der University of Oxford und an der University of Cambridge tätig. Zudem veröffentlichte er zwei Romane (2007 und 2008).

Collette Lyons und Paul Vlitos haben eine Tochter im Babyalter. Die Familie lebt in London.


Zurück
Zurück

Wer den Kreml herausfordert, riskiert sein Leben

Weiter
Weiter

Ein Thriller, der George Orwell begeisterte