Vertuschen und intrigieren
Der erste Satz
So sah also der Frühling in London aus: die Frauen in knielangen, blau-weiss gestreiften Kleidern; die Männer mit dunklen Jacken über Pullovern in Pastelltönen.
Krimi der Woche ∙ N° 43/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger
Ein Social-Media-Aufruf hatte Jugendliche zu einem Dance-Flashmob in eine Shopping Mall gerufen. Doch kaum hatte die fröhliche Überraschungsparty begonnen, detonierte eine Bombe, die die Tanzenden in den Tod riss. Der britische Inlandgeheimdienst MI5 findet schnell heraus, dass das kein fanatischer Islamist war. Der Täter war mit einer falschen Identität unterwegs. Und zwar einer guten, denn der Geheimdienst selbst hatte diese geschaffen. Also gilt es allerlei zu vertuschen. Denn „das Hauptziel eines Geheimdienstes ist es, nicht dumm dazustehen, wenn es sich vermeiden lässt“.
So beginnt Mick Herrons vierter Thriller um die „Slow Horses“, die lahmen Gäule des Geheimdienstes. „Slow Horses“, so der Titel des ersten Bandes und einer TV-Serie, die zurzeit im Entstehen ist (Apple TV+), werden die aus unterschiedlichen Gründen ins Slough House, was so viel wie Dreckloch bedeutet, abgeschobenen Agenten genannt. Unter der despotischen Leitung des für seine Umgangsformen berüchtigten Dienstveteranen Jackson Lamb werden sie mit vorwiegend unnützen Arbeiten beschäftigt. Den gerne rülpsenden und furzenden Lamb wird in der TV-Serie Gary Oldman darstellen.
Da der Chef sich in letzter Zeit wenig zeigte, „unterhielten sich Kollegen in der Küche und folterten sich gegenseitig in ihrem Büro“, erfahren wir schon zu Beginn. „Kaum sei die Katze aus dem Haus, hatte Lamb mal bemerkt, kämen die Mäuse auf dumme Gedanken und krakeelten laut nach demokratischer Freiheit. Woraufhin die Katze in einem Panzer zurückkam.“
Während die Vizechefin des Geheimdienstes intrigiert, um den neuen Chef reinzureiten und vielleicht doch noch die Nummer 1 zu werden, entwickeln die Slow Horses ihren eigenen Ehrgeiz in dem brisanten Fall. Und einer der Ihren, der Enkel eines der ehemals höchsten Geheimdienstler, muss feststellen, dass jemand seinem Opa nach dem Leben trachtet. Seine Ermittlungen führen ihn auch über den Kanal, was kein Problem sein sollte: „Frankreich war ja wohl kaum feindliches Gebiet, abgesehen von dem ein oder anderen Kellner.“
Gewürzt mit einer ordentlichen Portion englischem Humor führt Mick Herron in „Spook Street“ den Geheimdienst als irrwitziges Panoptikum vor. Die meisten Agentinnen und Agenten, je höher in der Hierarchie um so schlimmer, pfuschen und bescheissen mit dem Ziel, am Ende besser dazustehen als die anderen. Das ist nicht nur unterhaltsam, sondern zeigt auch, dass Geheimdienste seit dem Ende des Kalten Kriegs mehr mit sich selbst als mit ihren eigentlichen Aufgaben beschäftigt sind. Und sich lieber mit Gerüchten statt mit Fakten befassen.
Wertung: 4,2 / 5
Mick Herron: Spook Steet
(Original: Spook Street. John Murray, London 2017)
Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer
Diogenes, Zürich 2021. 456 Seiten, 18 Euro/ca. 24 Franken
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Mick Herron,
geboren 1963 in Newcastle-upon-Tyne, studierte Englische Literatur in Oxford. Sein erster Roman war 2003 der erste Band einer Reihe um die Privatdetektivin Zoë Boehm in Oxford, von der bis 2009 vier Bände erschienen.
2010 startete er mit „Slow Horses“ die Slough-House bzw. Jackson-Lamb-Serie, in der in diesem Jahr bereits der siebte Roman erschien. Die Reihe wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zurzeit produziert Apple TV+ eine auf der Romanreihe basierende TV-Serie mit Gary Oldham als Jackson Lamb. Nach „Slow Horses“ (2010; Deutsch 2018), „Dead Lions“ (2013; Deutsch 2019) und „Real Tigers“ (2016; Deutsch 2020) ist „Spook Street“ nun der vierte Roman der Reihe, der auf Deutsch erscheint.
Herron veröffentlichte auch drei Romane ausserhalb seiner Serien. Er schreibt zudem regelmässig für Magazine. Er lebt in Oxford und gibt an, gerne Squash zu spielen.