Mord und Korruption in Buenos Aires
Der erste Satz
„Er schläft“, sagt sie, als sie das Zimmer betritt.
Krimi der Woche ∙ N° 27/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger
Eigentlich wäre es für Inspektor Joaquín Alzada höchste Zeit für den Ruhestand. „Aber leider liess die Pensionskasse der Polizei es momentan nicht zu, ihn in Rente zu schicken.“ Wir sind in Buenos Aires, es ist kurz vor Weihnachten im Jahr 2001. Argentinien ist bankrott.
Am Mittwoch, 19. Dezember 2001, spielt der Kriminalroman „1981“ von Eloísa Díaz. Es ist ein langer Tag für Inspektor Alzada, und es ist eine bewegte Zeit. Die Menschen lehnen sich auf gegen die Regierung, die das Land an die Wand gefahren hat. „In jedem anderen Land wäre ein Krieg ausgebrochen. Aber dies war nicht jedes andere Land. Dies war Argentinien.“
In einem Abfallcontainer hinter dem Leichenschauhaus ist die Leiche einer jungen Frau gefunden worden. Da die ganze Polizei wegen den Protesten gegen die Regierung ausgerückt ist, landet der Fall bei Alzada. Der gilt als politisch unzuverlässig, wurde deshalb nicht mehr befördert und in die Diebstahlabteilung abgeschoben. An diesem Tag, an dem alle anderen auf der Strasse zu tun haben, kommt auch der Fall einer vermissten jungen Frau aus einer reichen Familie auf seinen Tisch.
Das Verschwinden dieser Frau weckt die Erinnerungen an den Dezember 1981, in dem Alzadas Bruder Jorge „verschwunden“ war. Wie so viele Menschen in den Jahren der Militärdiktatur. Auf diese Zeit verweist der Titel „1981“ der deutschen Ausgabe dieses Romans; im englischen Original heisst er „Repentance“, also „Busse“ im Sinn von „Busse tun“. Es ist der erste Roman von Eloísa Díaz, die Anwältin in Madrid und Tochter argentinischer Eltern ist. Sie hat an der Columbia University in New York kreatives Schreiben studiert und den Roman auf Englisch geschrieben.
Schnell findet Alzada heraus, dass die Vermisste in der Nacht zuvor von einem Auto abgeholt worden war. Als ihm Angaben zum Halter des Wagens verweigert werden, wendet er ziemlich unkonventionelle Methoden an. Und findet heraus, dass das Auto einem Abgeordneten gehört. Und sogleich wird er von seinem Chef, der früher sein Freund war, zurückgepfiffen. Und wie schon früher beginnt für Alzada ein vorsichtiges Lavieren, um Resultate zu erzielen, ohne selbst unter die Räder zu kommen.
„1981“ ist brillant aufgebaut. Die packende Kriminalgeschichte, gut erzählt und gespickt mit der fatalistischen Ironie der Hauptfigur, spielt an einem einzigen Tag im Dezember 2001, dazu gibt es Rückblenden auf zwei Tage zwanzig Jahre zuvor. Darin spiegelt sich die dramatische Geschichte Argentiniens in diesen Jahren. Zudem setzt sich Eloísa Díaz beiläufig auch mit Fragen nach Anpassung und Widerstand, nach Schuld und Sühne auseinander.
Wertung: 4 / 5
Eloísa Díaz: 1981
(Original: Repentance. Weidenfeld & Nicolson, London 2021)
Aus dem Englischen von Mayela Gerhardt
Hoffmann und Campe, Hamburg 2021. 320 Seiten, 23 Euro/ca. 34 Franken
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Eloísa Díaz,
geboren 1986 in Madrid, ist die Tochter argentinischer Eltern, die auf der Flucht vor der Militärdiktatur nach Spanien gekommen waren. Der Vater war schon als Kind mit seinen Eltern eingewandert, die Mutter als Teenager.
Eloísa Díaz studierte Rechtswissenschaften an der Sorbonne in Paris und Creative Writing an der Columbia University in New York. Aufgrund der Herkunft ihrer Eltern setzte sie sich intensiv mit der Geschichte Argentiniens auseinander. Vor deren Hintergrund spielt ihr erster Roman, den sie auf Englisch schrieb. „Repentance“ erschien im Februar dieses Jahres in England, inzwischen ist das Buch neben der deutschen Ausgabe „1981“ auch auf Französisch und Italienisch erschienen, Übersetzungen ins Spanische und Russische sind im Gang.
Eloísa Díaz lebt als Anwältin und Autorin in der spanischen Hauptstadt Madrid.