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Wie Frauen mordende Psychos überleben

Der erste Satz
„Du erinnerst dich vielleicht nicht an mich, aber ich habe dich nie vergessen.“

Krimi der Woche ∙ N° 49/2024 ∙ Hanspeter Eggenberger

Der gängige Serienmörderroman weckt selten mein Interesse. Denn da geht es meist darum, immer noch raffinierter vorgehende Täter zu präsentieren, die zu fassen nur besonders genialen Ermittlern gelingen kann. Solche Geschichten transportieren eine fatale Faszination für die Täter. In diesem Jahr sind mir jedoch mehrere Romane von Frauen aufgefallen, die sich auf andere Arten mit solchen Massenmördern befassen, die den Täter nicht zum (un-)heimlichen Helden machen. Danya Kukafka spiegelt in „Notizen zu einer Hinrichtung“ das Leben und die Taten eines Frauenmörders in den Lebensgeschichten dreier Frauen. In „Der Freund“ von Tiffany Tavernier muss sich ein Mann fragen, warum ausgerechnet ein Serienmörder sein bester Freund wurde.

Die Art, wie Massenmörder in den Massenmedien dargestellt werden, hat die amerikanische Bestsellerautorin Jessica Knoll („Luckiest Girl Alive“) zu ihrem neuen Roman „Bright Young Women“ motiviert. Ihre Geschichte basiert auf dem Fall von Ted Bundy, der in den 1970er Jahren mindestens dreissig junge Frauen getötet hatte. Und zu einem Helden der Popkultur wurde, Thema vieler Bücher und anderer Beiträge, von gutaussehenden Filmstars dargestellt wurde und wird. In „Bright Young Women“ kommt der Name Bundy nicht vor, Knoll hat ihm nicht einmal einen fiktiven Namen gegeben, der Mörder ist lediglich „der Angeklagte“. Und um ihn geht es auch nur indirekt, im Mittelpunkt stehen die klugen jungen Frauen des Titels.

Pamela ist in den Siebzigern Leiterin der Studentenverbindung auf dem Campus der Florida State University in Tallahassee, in deren Haus „der Angeklagte“ 1978 seine letzten Morde beging. Pamela hat ihn gesehen, sie wird zur Hauptzeugin im Prozess. Eines der Opfer ist Denise, ihre beste Freundin. Der Fall wird Pamela, die selbst Anwältin wird, nie mehr loslassen.

Das Buch beginnt 15'825 Tage nach den Morden in Tallahassee, im Jahr 2021, als ein Brief die Möglichkeit eröffnet, einem nie gefundenen Opfer aus dem Jahr 1974 im Bundesstaat Washington auf die Spur zu kommen. Diese Frau, Ruth, wird neben Hauptprotagonistin Pamela zu einer zweiten Icherzählerin. Ruths Freundin Tina war nach den Morden in Florida gleich nach Tallahassee gereist, da sie überzeugt war, dass es der gleiche Täter war. Auch über vierzig Jahre danach hält der Kontakt zwischen Pamela und Tina.

Anders als viele Medienschaffende und die Groupies im Gerichtssaal sehen diese Frauen den Täter nicht als brillanten jungen Mann. Beispielhaft steht eine direkte Begegnung mit Pamela im Gerichtssaal, denn da „tat der Angeklagte etwas, das schon tausende Jungen vor ihm getan hatten, als er erkannte, dass wir auf Kollisionskurs waren. Ich sage Jungen, nicht Männer, denn er legte die stümperhafte Unbeholfenheit eines pickeligen Teenagers an den Tag, der plötzlich nicht mehr wusste, was er mit seinen Händen anstellen, wohin seine kleinen Schweinsäuglein schauen sollten. Dieser Mann wurde von der Presse als ein tödlicher Casanova bezeichnet, wie ihn noch keine Frau zuvor erlebt hatte, dabei brachte die blosse Anwesenheit einer Person des anderen Geschlechts ihn schon aus der Fassung.“

Und was ist mit jenen Männern, die fast bewundernd vom Angeklagten berichten? Pamela hat „es so satt, zu sehen, wie sie mit ihren gebügelten Hemden und Cowboystiefeln in bequemen Ledersesseln sitzen und in unfassbar erfolgreichen, von Kritikern gefeierten Dokumentationen über die Intelligenz, den Charme und die Raffinesse eines gewöhnlichen Frauenhassers reden“.

Aber selbst bei ihnen im Prinzip gut gesinnten Freunden wird es den klugen jungen Frauen zuweilen unheimlich: „Es gab Männer, die ihre Fingerknöchel knacken liessen, während sie mir anvertrauten, was sie dem Angeklagten antun würden, wenn sie sie Chance dazu bekämen, und dachten, es würde mir ein beruhigendes Gefühl geben. Dabei stellte ich lediglich fest, dass der Unterschied zwischen dem Mann, der Denise Gewalt angetan hatte, und den vielen Männern, die mir jeden Tag auf der Strasse begegneten, gar nicht so gross war.“

Wertung: 4 / 5

Jessica Knoll: Bright Young Women
(Original: Bright Young Women. Marysue Rucci Books, New York 2023)
Aus dem Englischen von Jasmin Humburg
Eichborn, Köln 2024. 461 Seiten 18 Euro/ca. 26 Franken

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Bild: Sabrina Lantos / PD

Jessica Knoll,

geboren 1983 in Philadelphia, wuchs in Chester Springs, einem Vorort von Philadelphia, auf. Sie besuchte zunächst die Shipley School in Bryn Mawr, Pennsylvania, und studierte dann Englisch an den Hobart and William Smith Colleges in Geneva, New York. In New York arbeitete sie dann auf den Redaktionen der Magazine „Parenting“ und „Popular Science“. Bei „Cosmopolitan“ wurde sie leitende Redakteurin.

Ihr erster Roman „Luckiest Girl Alive“ schrieb sie, als sie noch bei „Cosmopolitan“ und danach bei „Self“ arbeitete; das Buch erschien 2015 und wurde ein Bestseller. Der Roman wurde mit Mila Kunis in der Hauptrolle für Netflix verfilmt (2022; deutscher Titel: „Ich. Bin. So. Glücklich.“); Jessica Knoll wirkte als Produzentin mit. 2018 erschien ihr zweiter Roman „The Favorite Sister“. 2019 wurde ihr Originaldrehbuch „’Til Death“ an Amazon verkauft, und 2021 wurde sie von „Variety“ als „Screenwriter to watch“ geehrt. „Bright Young Women“ ist ihr dritter Roman.

Sie lebt mit ihrem Mann, ihrer im November 2023 geborenen Tochter Sydney und der Bulldogge Franklin in Los Angeles.


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