Im Wilden Westen Schottlands
Der erste Satz
„Wer lässt denn eine Bombe in Woodlands hochgehen?“, wunderte sich McCoy. „Das ist doch am Arsch von Glasgow.“
Krimi der Woche ∙ N° 39/2024 ∙ Hanspeter Eggenberger
„Glasgow ist wie Belfast, nur ohne Bomben.“ Das hat bisher gegolten. Doch jetzt gehen in Glasgow Bomben hoch. Die erste Vermutung, die IRA weite ihr Aktionsgebiet aus, bestätigt sich nicht. Die Bomben sind „hausgemacht“. Aber von wem? Und weshalb? Während zehn Tagen im April 1974 geht Detective Harry McCoy von der Glasgower Polizei auf die Jagd nach den mysteriösen Bombenbastlern.
„Die April-Toten“ ist der vierte McCoy-Roman. Der schottische Autor Alan Parks hat die Reihe auf zwölf Bände angelegt, in jedem Titel kommt der Name eines Monats vor. Wobei damit nicht unbedingt immer der Monat gemeint ist, Parks spielt auch mit den Monatsnamen. Im März-Band ging es um einen Musiker namens March: „Bobby March forever“. Beim dem Mai gewidmeten Titel, der noch der deutschen Übersetzung harrt, hatte Parks eine witzige Idee: „May God Forgive“ – eine Herausforderung für die Übersetzerin, in „Möge Gott vergeben“ jedenfalls würde der Mai fehlen. Die ersten drei Bände sind im Programm Heyne Hardcore erschienen, das 2022 eingestellt wurde. Jetzt setzt erfreulicherweise der Polar-Verlag die McCoy-Serie fort. Und Conny Lösch, eine Meisterin ihres Fachs, übersetzt sie weiter.
Harry McCoy ist die Sorte Cop, dem es wichtiger ist, das Richtige zu tun, als einfach Gesetze durchzusetzen. Erschwerend kommt dazu, dass sein bester Freund, mit dem er in einem Heim aufgewachsen ist, auf der anderen Seite gelandet ist: Er ist ein Gangster im Siebzigerjahre-Glasgow. Die Stadt am River Clyde sei ihm damals als der Wilde Westen von Schottland vorgekommen, schreibt der schottische Schriftsteller Doug Johnstone (dessen Werke ebenfalls bei Polar erscheinen) in einem Nachwort, die Stadt habe die landesweit höchste Armuts- und Kriminalitätsrate aufgewiesen.
In den heruntergekommenen Kneipen der Stadt treibt sich McCoy nicht nur beruflich herum. Zuweilen trinkt er etwas zu viel. Doch jetzt plagt ihn ein Magengeschwür. Dabei muss er weitere Bombenanschläge verhindern. Und er hilft einem Amerikaner bei der Suche nach seinem Sohn, der von einem in Glasgow stationierten Schiff der US-Navy verschwunden ist. Schon bald sieht McCoy einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen. Und der Bombenfall führt ihn denn auch in Militärkreise.
Parks erzählt gradlinig und hart, aber auch mit schwarzem Humor. Wie immer spielt nebenbei auch Musik eine Rolle, für die Parks, der früher in der Musikindustrie arbeitete, ein besonderes Faible hat. Der Jukebox-Hit in der Kneipe der amerikanischen Matrosen ist „Fortunate Son“ von Creedence Clearwater Revival. Und McCoy muss immer wieder genervt das Autoradio ausschalten, weil ständig „Waterloo“ aus den Lautsprechern dudelt.
McCoy hat übrigens ein Problem in Situationen, in die er beruflich immer wieder kommt: „Schon irgendwie blöd, wenn man als Detective kein Blut sehen kann“, frotzelt ein Kollege aus Belfast, doch McCoy ist auch nicht aufs Maul gefallen: „Viel blöder, ist es, wenn man ein grosses irisches Arschloch ist.“ Dieser kurze Dialog gibt einen guten Eindruck vom Tonfall dieses kurzweiligen, aber keineswegs oberflächlichen Romans.
Wertung: 4,1 / 5
Alan Parks: Die April-Toten
(Original: The April Dead. Canongate, Edinburgh 2021)
Aus dem Englischen von Conny Lösch. Mit einem Nachwort von Doug Johnstone
Polar Verlag, Stuttgart 2024. 444 Seiten, 26 Euro/ca. 36 Franken
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Alan Parks,
geboren 1963 in Johnstone, einem Vorort von Glasgow, studierte Philosophie an der Universität von Glasgow. Danach zog er nach London, wo er in der Musikindustrie – zunächst bei London Records, später bei Warner Brothers – als Creative Director arbeitete. Er war verantwortlich für Kampagnen, Albumcovers, Fotosessions und Videos für Bands wie All Saints, New Order, The Streets und Enya. Bei 679 Recordings war er Geschäftsführer. In den letzten Jahren war er freier Berater für Marketing und Gestaltung.
Nach zwanzig Jahren in London kaufte er sich eine Wohnung in Glasgow, um da die Wochenenden zu verbringen. Sein schottischer Freund John Niven, mit dem er bei London Records zusammenarbeitete und der inzwischen ein erfolgreicher Autor ist („Die F*ck-it-Liste“), ermunterte ihn, einen Roman zu schreiben. So entwickelte er die Idee für eine Glasgow-Krimireihe, die auf zwölf Bände angelegt ist. Als 54-Jähriger veröffentlichte er den ersten Roman „Blutiger Januar“ (2017). Er erschien auf Deutsch in der Reihe Heyne Hardcore, wo auch „Tod im Februar“ (2019) und „Bobby March forever“ (2020) folgten. Nachdem Heyne die Hardcore-Linie eingestellt hat, ist nun erfreulicherweise der Polar-Verlag in die Lücke gesprungen. Der jetzt auf Deutsch erschienene Band „Die April-Toten“ ist im Original schon 2021 erschienen, zwei weitere Bände liegen auf Englisch auch schon vor.
Alan Parks lebt in Glasgow.