Ermittlungen unter mutierten Wölfen
Der erste Satz
Die Wölfe beherrschen Berlin.
Krimi der Woche ∙ N° 36/2024 ∙ Hanspeter Eggenberger
Ich habe zwar schon tolle Science-Fiction-Romane gelesen, aber richtig warm geworden bin ich mit dem Genre nie wirklich. Das liegt wohl vor allem daran, dass mich realistische Literatur mehr anspricht als phantastische. Wie Fantasy setzen viele SF-Geschichten voraus, dass man sich auf gewisse Dinge, die nicht realistisch sind, einlassen muss, um in die Geschichte einzusteigen. So ist es auch in dem in nicht allzu ferner Zukunft handelnden Cyberthriller „Wolfszone“ von Christian Endres. Ich musste die Cyborg-Wölfe in Brandenburg, „eine schrecklich-schöne Verbindung von Tier und Tech“, erst einmal als Prämisse akzeptieren, um an der Lektüre Spass zu haben.
Als cybertechnologischer Laie fasse ich die Sache mit den Wölfen in der abgeriegelten Zone bei einem Ort namens Dölmow so zusammen: Illegal deponierter Hightechmüll in Wäldern unweit von Berlin hat zu einer Mutation von Wölfen geführt, die zu KI-getriebenen Monstern wurden. Soll man das nun als spannende Entwicklung beobachten und erforschen, wie Wolfsfreunde und auch Wissenschaftler fordern? Oder soll man diese kybernetisch veränderten Wölfe ausrotten? Oder dies wenigstens versuchen, denn die Tiere wissen sich offenbar zu wehren. Im Bundestag steht ein Entscheid über das weitere Vorgehen an, und die Zeichen stehen eher schlecht für die Wölfe.
Los geht der Roman aber wie ein klassische Privatdetektivgeschichte. Die reichste Deutsche, die nicht nur die Spezialtruppen in der Wolfszone mit Kampfdrohnen und anderen Hightech-Waffen ausrüstet, heuert den Berliner Privatdetektiv Joe Denzlinger an, um ihre Tochter zu suchen. Diese hat sich den Pro-Wolf-Demonstranten in einem Lager bei der Sperrzone in Dölmow angeschlossen – unter falschem Namen, denn ihre Mutter ist für die Wolfsfreunde ein Feindbild. Sie hielt aber regelmässig Kontakt zur Mutter, doch plötzlich meldete sie sich nicht mehr. Joe soll herausfinden, was der Grund dafür ist.
Durch eine vom Klimawandel gebeutelte Landschaft reist Joe nach Dölmow, wo er zwischen Militärstützpunkt und Demonstrantencamp allerlei schräge Figuren kennenlernt. Christian Endres erzählt die Geschichte aus den Perspektiven von vier Personen. Neben Joe sind das die Wissenschaftlerin Kira, der Berufssoldat Tariq und die Velokurierin Marija. Kira ist als Wolfspezialistin im Militärlager tätig. Im Gegensatz zu vielen Bundeswehrlern steht sie klar auf der Seite der Wölfe, sie hält einen – nicht mutierten – Wolf wie einen Hund als Haustier. Der Soldat Tariq hat syrische Wurzeln. Dies, und dass er von Wölfen eher fasziniert als abgeschreckt ist, setzt ihn stetigen Hänseleien und Mobbing durch seine „Kameraden“ aus. Marija war eine erfolgreiche Mountainbike-Profi, bis sie nach einem Ausraster in Ungnade fiel. Jetzt arbeitet sie in Dölmow als rasante Velokurierin für das Gewerbe in der Gegend, zu dem auch Drogenhändler gehören. Und dann gibt es noch einen fünften Protagonisten: DW-7X ist einer der Cyborg-Wölfe, der, vom Rudel verstossen, sozusagen als lone wolf das Geschehen beobachtet.
Enders hat den Plot geschickt konstruiert, er nimmt sowohl eher erwartbare wie auch überraschende Wendungen, und die Dramatik der Ereignisse wird stetig gesteigert. Nicht alles ist indes schlüssig, manches wirkt etwas arg klischiert – etwa die Darstellung der bösen Wolfsgegner und der guten Wolfsfreunde –, und zuweilen wird es ziemlich kitschig. Dennoch ist die Geschichte spannend, unterhält auch immer wieder mit augenzwinkerndem Humor, fasziniert mit eindringlichen dystopischen Schilderungen und schneidet auch sonst allerlei gesellschaftliche Zustände und Probleme an.
Wertung: 3,1 / 5
Christian Endres: Wolfszone
Heyne, München 2024. 510 Seiten, 20 Euro/ca. 30 Franken
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Christian Endres,
geboren 1986 in Würzburg, ist gelernter Medienoperator. Schon früh entwickelte er eine Leidenschaft für Fantasy in Wort und Bild, aber auch für Sherlock Holmes und für Comics aller Art.
Als Journalist und Redakteur arbeitet er für verschiedene Magazine und Zeitungen. Zudem ist er als Lektor tätig. Neben Kritiken, Essays und Comic-Editorials veröffentlichte er in Magazinen und Anthologien zahlreiche Kurzgeschichten aus den Bereichen Science-Fiction, Fantasy, Weird Fiction, Horror und Krimi. Dazu kommen mehrere eigene Bücher, darunter insbesondere drei Bände mit Sherlock-Holmes-Geschichten sowie die Fantasy-Reihe „Die Prinzessinnen“, in der im November 2024 der dritte Band erscheint.
Christian Endres lebt als freier Autor in der Nähe von Würzburg.