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„Ich bin tot. Ende.“

Der erste Satz
Ich warte darauf, dass mich jemand tötet.

Krimi der Woche ∙ N° 20/2024 ∙ Hanspeter Eggenberger

Seit fast einem halben Jahr stellt sich der Mann, der Seventeen genannt wird, bei voller Beleuchtung vor das hohe Panoramafenster. Und wartet darauf, dass vom gegenüberliegenden Hügel ein Scharfschütze auf ihn schiesst. Nicht irgendeiner, sondern derjenige, der als Eighteen seine Nachfolge als Nummer eins in der Welt perfekt getarnter, staatlich finanzierter Auftragsmorde antreten will.

Den etwas grossmäuligen Auftragskiller Seventeen haben wir letztes Jahr im nach ihm benannten Romandebüt des versierten Drehbuchschreibers John Brownlow kennengelernt. Seventeen bedeutet: Er ist der siebzehnte in einer Jahrhunderte zurück reichenden Reihe der weltbesten Auftragskiller, die von Regierungen und Geheimdiensten für die ganz dreckigen Sachen eingesetzt werden. Wer an die Spitze rückt, muss seinen Vorgänger töten.

Im Nachfolgeroman „Eighteen“ nun sieht Seventeen seine Ära zu Ende gehen. Die Welt der Spionage hat sich verändert. „Sie ist online gegangen. Kryptografie, Ransomware, koordinierte Zero-Day-Malware-Attacken, massenhafte Überwachung, Keyword-Recherche, Mustererkennung durch KI, autonome Waffen, Fernüberwachung, Side-Channel-Exploits. Ich verstehe die Begriffe und weiss, worum es geht, aber es interessiert mich nicht. Meine Welt besteht aus Fleisch und Blut, vor allem aus letzterem.“

Jetzt scheint es für ihn so weit zu sein, diese Welt zu verlassen. Als er sich zum hundertfünfundsiebzigsten Mal vom grossen Fenster abwenden will, sieht er ein Mündungsfeuer. Die Kugel trifft genau zwischen seine Augen. Kapitel 4 auf Seite 17 besteht aus zwei Absätzen mit insgesamt gerade mal vier Worten:

Ich bin tot.

Ende.

Doch die Kugel hat die Panzerglasscheibe nicht durchschlagen. Warum hat ein professioneller Killer nicht die richtige Munition gewählt, der die Scheibe nicht gewachsen gewesen wäre? Und warum hat er den riskanten Schuss zwischen die Augen gewählt, statt einen sicheren Körpertreffer?

Seventeen macht sich sogleich auf, den Schützen aufzustöbern, um ihn zu töten. Und findet auf dem Hügel vis-à-vis ein Kind mit einem Scharfschützengewehr. Ein Mädchen, etwa neunjährig. Allein kann das Mädchen nicht dahin gekommen sein. Bald hat er das Motel gefunden, in dem Mutter und Kind eingecheckt hatten. Doch die Mutter ist tot, wurde davor offensichtlich gefoltert. Und Seventeen kennt sie. Er hat sie geliebt. Das war vor etwa neun Jahren in Äthiopien. Schnell wird ihm klar: Das Mädchen ist seine Tochter. Damit wird Seventeens dreckiges Business plötzlich sehr persönlich.

Mit der Suche nach den Mördern der Mutter des Kindes beginnt eine wilde und abenteuerliche Geschichte, die Seventeen um die halbe Welt und tief in die Hackerszene führt. Die Geschichte entwickelt sich zu einem explosiven Politthriller, den John Brownlow nicht ganz so kitschfrei über die Runden bringt wie im ersten Roman, und dass sein fast Superman-artiger Held die Welt vor einer durchgeknallten religiösen Milliardärin rettet, ist etwas gar dick aufgetragen. Doch „Eighteen“ bietet, wie schon „Seventeen“, beste und intelligente Unterhaltung. Zuweilen brutal, reich an adrenalingeladener Action, aber auch mit schwarzem Humor. Und mit sehr viel mehr Emotionen, als sich der Auftragskiller eigentlich zugesteht.

Brownlows Geschichten mögen bei flüchtiger Betrachtung etwas an die Romane von Lee Child erinnern, doch gegen Seventeen sieht Jack Reacher alt aus, sehr alt. Das liegt unter anderem auch daran, dass sowohl zum Tiefgang der Geschichte wie auch zum Lesevergnügen zahlreiche Reflexionen und allerlei Anmerkungen beitragen, die vom Helden auch dann, wenn sie bitterböse sind, eher flapsig rübergebracht werden. Zum Beispiel so: „Ich kenne eine Menge Verhörtechniken. Die Dinge, die Sie von Abu Ghraib gehört oder gesehen haben – stundenlanges Ausharren in unbequemen Körperhaltungen, Waterboarding, Stromschläge, Angriffe durch Hunde, Schlafentzug –, waren das harmlose Zeug. Die echten Hits sind in mittelalterlichen Kerkern erfunden worden, in den Verhörzentren der Nazis, in syrischen Gefängniszellen oder im Keller des Kreml.“

Wertung: 4,2 / 5

John Brownlow: Eighteen
(Original: Eighteen. Hodder & Stoughton, London 2023)
Aus dem Englischen von Stefan Lux
Rowohlt, Hamburg 2024, 427 Seiten, 14 Euro/ca. 21 Franken

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Bild: goodreads.com

John Brownlow,

geboren 1964 in Lincoln in den britischen East Midlands, studierte zunächst Mathematik, dann englische Literatur in Oxford. Ab 1990 arbeitete er in England für das Fernsehen. Er realisierte mehrere Dokumentarfilme. 1999 verlegte er sich aufs Drehbuchschreiben. Zu seinen bekannten Arbeiten zählen die Drehbücher für den Kinofilm „Sylvia“ über die Beziehung zwischen Sylvia Plath und Ted Hughes mit Gwyneth Paltrow und Daniel Craig in den Hauptrollen (2003, Regie: Christine Jeffs) und die TV-Serie „Fleming“ über James-Bond-Erfinder Ian Fleming.

„Sventeen“ war 2022 (Deutsch unter dem gleichen Titel 2023) sein erster Roman; „Eighteen“ ist die Fortsetzung,

Daneben ist Brownlow auch als Musiker aktiv und war Musikjournalist. Im Jahr 2000 verkaufte er sein Musikequipment, um den Umzug seiner Familie nach Kanada zu finanzieren. Er schreibt Popsongs, die er als Multiinstrumentalist auch selbst einspielt. 2017 veröffentlichte er das Album „The Summertime“.

Er ist britischer und kanadischer Staatsbürger und lebt mit seiner Frau Heather und drei Söhnen in der Nähe von Toronto in der kanadischen Provinz Ontario.


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