Ein einsamer Rächer im Netz der Profikiller
Der erste Satz
Suzuki blickt auf das Häusermeer und denkt über Insekten nach.
Krimi der Woche ∙ N° 15/2023 ∙ Hanspeter Eggenberger
Der Tod seiner Frau hat Suzukis Leben zerstört. Vor zwei Jahren wurde sie von einem jungen Mann zu Tode gefahren, dem Sohn des Gangsters Terahara. Um an Terahara junior zu kommen, nimmt der ehemalige Mathematiklehrer Suzuki einen Job bei der Firma des Gangsters an. Da verkauft er jungen Frauen dubiose Schönheitsprodukte, die offenbar süchtig machen. Das gibt ihm zwar zu denken. Aber der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel. «Seit dem Tod seiner Frau waren Rachegedanken das Einzige, was ihn am Leben gehalten hatte. Wenn ihm diese Chance endgültig genommen würde, bliebe ihm nichts mehr übrig, wofür es sich zu leben lohnt.»
Doch jemand kommt ihm zuvor. Unterwegs mit einer leitenden Mitarbeiterin Teraharas wird Suzuki Zeuge, wie Terahara junior von einem Auto überfahren wird. Was wie ein Unfall aussieht, war ein Mord. Der junge Mann wurde vor das Auto geschubst. Vom Pusher, einem Profikiller, der seine Opfer vor Züge oder Autos stösst. Suzuki soll nun für Terahara den Pusher verfolgen.
Mit „Bullet Train“, einer schrägen Krimigroteske um ein grosses Stelldichein von Auftragsmördern im Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszug, dessen Hollywood-Verfilmung mit Brad Pitt und Sandra Bullock im Kino lief, wurde Kotaro Isaka 2022 im deutschen Sprachraum bekannt. Jetzt legt der Verlag ein früheres Werk des erfolgreichen japanischen Autors vor, das im Original schon vor fast zwanzig Jahren erschienen ist: „Suzukis Rache“.
Auch schon hier treffen mehrere Profikiller aufeinander. Jeder hat sich auf eine besondere Methoden der Berufsausübung spezialisiert. Neben dem Pusher sind das der Wal, ein grosser, dicker Mann, der seine Opfer in den Suizid treibt, und Zikade, ein junger Schlächter mit scharfen Messern, der am liebsten ganze Familien niedermetzelt.
Isaka stellt diese Killer bei ihrer Arbeit vor. Zikade beim Ermorden einer Familie, deren Sohn einen Obdachlosen abgefackelt hatte. Und den Wal bei der „Suizidhilfe“ für den Mitarbeiter eines korrupten Politikers, der seinem Helfer den Korruptionsfall anhängen will. Unabhängig voneinander denken sich Zikade und der Wal, dass sie beim einflussreichen Terahara punkten können, wenn sie ihm den Pusher servieren. Und so findet sich der etwas unbeholfene Suzuki plötzlich inmitten von Killern.
Wie in „Bullet Train“ ist der Plot auch hier ziemlich überdreht. Doch wo er dort immer mal wieder ins Slapstickige kippt, wird es in „Suzukis Rache“ immer melancholischer, um nicht zu sagen depressiver. Es gibt fast schon surrealistische Momente, wenn die Protagonisten von Toten heimgesucht werden. Und immer wieder werden existenzialistische Fragen aufgeworfen. Sowohl von Suzuki wie von den Mördern. Wobei Tiefsinnigkeit mitunter auch in Flapsigkeit kippt: «Der schnellste Weg, um seine Freiheit zu erlangen, ist, seine Eltern zu töten. Diesen Satz hatte Zikade mal in einem Roman gelesen. Die beste Methode heutzutage, sich von allem abzunabeln, ist einfach das Handy auszuschalten.»
Das ist nicht die einzige literarische Reverenz. Der Wal liest, wenn er zwischendurch Zeit hat, immer wieder in einem zerfledderten Taschenbuch, das er schon mehrmals gelesen hat. Es ist „Schuld und Sühne“ von Dostojewski, der Klassiker, der die Abgründe in der Seele eines Mörders schildert.
„Bullet Train“ mag spektakulärer und witziger sein, aber auch „Suzukis Rache“ unterhält mit Action und Humor, ist dabei aber ein ganzes Stück tiefsinniger und berührender als der Shinkansen-Schinken. Und die Beschreibung der Tristesse sorgt schon mal für poetische Momente: „Die Schultern des Mannes sacken nach unten und bilden einen Abhang, auf dem alle Hoffnungen weggleiten.“
Wertung: 4 / 5
Kotaro Isaka: Suzukis Rache
(Original: グラスホッパー / Gurasuhoppa. Kadokawa, Tokio 2004)
Aus dem Japanischen von Sabine Mangold
Hoffmann und Campe, Hamburg 2023, 302 Seiten, 24 Euro/ ca. 33 Franken
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Kotaro Isaka,
geboren 1971 in Matsudo, einer Grossstadt nordöstlich von Tokio in der japanischen Präfektur Chiba, studierte Rechtswissenschaft an der Universität Tōhoku in Sendai, einer der renommiertesten staatlichen Hochschulen Japans. Danach war er zunächst als Systemingenieur tätig.
Im Jahr 2000 wurde er für seinen Debütroman mit dem Shincho-Mystery-Club-Preis ausgezeichnet und wurde hauptberuflicher Schriftsteller. Inzwischen hat mehr als zwei Dutzend Romane veröffentlicht und gilt als einer der international erfolgreichsten Krimiautoren Japans. Sein Werk wurde in Japan und auch in Frankreich mit mehreren Preisen ausgezeichnet, und mehr als die Hälfte seiner Romane wurde verfilmt. Ausser auf Französisch erschienen mehrere seiner Bücher auch auf Chinesisch, Koreanisch, Thai, Englisch, Italienisch und Russisch. Die erste Übersetzung ins Deutsche war 2022 „Bullet Train“ (Original: „Mariabitoru“, 2010), dessen amerikanische Verfilmung durch David Leitch mit Brad Pitt und Sandra Bullock 2022 im Kino lief. Mit „Suzukis Rache“ liegt nun ein früheres Werk vor (Original: „Gurasuhoppa“, 2004). Eine Verfilmung dieses Romans kam in Japan 2015 in die Kinos.