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Brutalität und religiöse Heuchelei im Sunshine State

Der erste Satz
Als Judah Cannon aus dem Florida State Prison nordwestlich von Starke entlassen wurde, war niemand da, um ihn zu empfangen.

Krimi der Woche∙ N° 08/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

Nach ein paar Jahren im Gefängnis kehrt Judah Cannon zurück in seine Heimatstadt. Eigentlich landet er nur in der Kleinstadt im Norden Floridas, weil er nicht wusste, wohin er sonst gehen soll. Sein Vater und sein älterer Bruder sind dort als Kriminelle aktiv. Judah wurde erwischt, als er für sie den Fluchtfahrer machte. Nach der Rückkehr will Judah mit seiner Jugendfreundin Ramey, auf die er wieder trifft, neu anfangen. Doch kaum pfeift sein Vater, fällt er in den alten Trott zurück. Das Familientrio nimmt den Scorpions, einer Motorradgang aus der Gegend, 150'000 Dollar aus einem Drogendeal ab.

Statt zu einem guten Startkapital für den Neuanfang kommt Judah Cannon vom Regen in die Traufe. Davon erzählt die nordkalifornische Autorin Steph Post im Roman „Lightwood“, dem ersten Teil einer Trilogie um Judah Cannon. „Er kam aus einer langen Reihe von Männern, die (…) ihr Unterhemd erst dann wechselten, wenn es Matsch- oder Blutflecken hatte, oder Schlimmeres, und nicht einfach nur, weil ein neuer Tag war.“

Die Cannons bekommen es nach dem Überfall nicht nur mit den aufgebrachten Bikern zu tun, sondern vor allem auch mit Schwester Tulah. Die Pfingstpredigerin, die in ihrer Kirche ihre Anhänger terrorisiert, ist auch im Drogenhandel tätig. Und es ist ihr Geld, das die Cannons von den Scorpions erbeuteten. Nächstenliebe hat die Predigerin nicht im Programm. Ihren Feinden schickt sie im besten Fall eine Klapperschlange, im schlechteren schon Mal eine Bombe. Und im Visier hat sie nun sowohl die Scorpions wie die Cannons.

Dieser tiefschwarze Country Noir aus dem ruralen Nordflorida ist ein aussergewöhnlicher Kriminalroman. Gesetzeshüter kommen darin nicht vor. Niemand ermittelt, niemand bemüht sich darum, Kriminelle der Justiz zuzuführen. Die Protagonisten gehören zur abgehängten Unterschicht. Und geht um schonungslose Brutalität, religiöse Heuchelei, familiäre Abgründe und kaltblütigen Verrat. Das erinnert schon mal an Szenerien des Noir-Pioniers Jim Thompson oder an die meisterhaften „Bull Mountain“-Romane von Bill Panowich. Vor dem Hintergrund der rohen Gewalt gibt es aber auch die fragile Liebesgeschichte zwischen Judah und Ramey.

Steph Post erzählt schnell und zielstrebig. Mutig verzichtet sie weitgehend auf das Psychologisieren ihrer Figuren. Diese definieren sich nicht über langatmige Erklärungen, sondern durch was, was sie tun und was sie sagen. „In unseren Leben gibt es Dinge, die wir getan habe, und Dinge, die uns angetan wurden“, sagt Ramey einmal. „Und Dinge, die wir noch tun müssen.“ Davon erzählt dieser teuflisch brillante Roman.

Wertung: 4,8 / 5

Steph Post: Lightwood
(Original: Lightwood. Polis Books, Hoboken, New Jersey 2017)
Aus dem Englischen von Kathrin Bielfeldt
Polar Verlag, Stuttgart 2022. 439 Seiten, 16 Euro/ca. 24 Franken

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Bild: Ryan Holt

Steph (Stephanie) Post,

geboren 1982 in St. Augustine an der Nordostküste von Florida, besuchte mit einem Patricia-Cornwell-Stipendium für kreatives Schreiben das Davidson College in North Carolina. Dort gewann sie den Vereen Bell Award für Kurzgeschichten. Sie hat einen Master-Abschluss in Liberal Studies von der University of North Carolina Wilmington.

Sie veröffentlichte Kurzgeschichten in verschiedenen Literaturzeitschriften und in der Anthologie „Stephen King’s Contemporary Classics“. Sie schreibt auch regelmässig für „Small Press Book Review“ und „Alternating Current Press“ und hat zahlreiche Buchbesprechungen und Autoreninterviews veröffentlicht. An High-Schools in Florida, unterrichtete sie Schreiben, bis sie selbst vom Schreiben leben konnte.

Ihr erster Roman, „A Tree Born Crooked“ (2014), war Halbfinalist für den Big Moose Prize. 2017 startete sie mit dem jetzt auf Deutsch erschienenen Titel „Lightwood“ die Judah-Cannon-Trilogie, die sie mit „Walk in the Fire“ (2018) und „Holding Smoke“ (2020) fortsetzte. 2019 erschien zudem ihr in den 1920er Jahren spielende Southern-Gothic-Roman „Miraculum“.

Steph Post lebt mit ihrem Mann, Ryan Holt, ihren Hunden und rund zwei Dutzend Hühnern in der Kleinstadt Brooksville nördlich von Tampa in Florida. Neben dem Schreiben widmet sie sich der Gestaltung von Karten, die sie als Linolschnitte auf handgeschöpftes Papier druckt und selbst vertreibt. Auf Instagram postet sie gerne Bilder ihrer Hühner.


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