Korruption und Gewalt in Westafrika
Der erste Satz
Die Lady neben mir, die auf dem siebenstündigen Flug drei Hochglanzmagazine gelesen und die ich vergeblich in ein Gespräch zu verwickeln versucht hatte, stiess mich mit dem Ellbogen an und schob ihren Kiefer in Richtung meines Drinks.
Krimi der Woche ∙ N° 33/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger
Eigentlich will sich Weston Kogi auf dem fröhlichen Beerdigungsfest für seine Tante, die ihn aufgezogen hatte, nur ein bisschen wichtigmachen. Doch dadurch wird seine Reise nach Afrika zu einem Trip durch die Hölle. Nach 15 Jahren ist er aus London, wo er in einem Supermarkt als Wachmann arbeitet, in seine Heimatstadt Ede im von den Yoruba bewohnten westafrikanischen Alcacia zurückgekehrt. Er sei Detektiv bei der Polizei in London, blufft er bei seinen alten Bekannten.
Einem tyrannischen Mitschüler von früher, der inzwischen ein hohes Tier bei der Liberation Front von Alcacia ist, kommt der fachkundige Ermittler aus England gerade recht. Er zwingt Weston dazu, in der ungeklärten Ermordung eines Konsenspolitikers zu ermitteln. Beziehungsweise den Anschlag der gegnerischen People’s Christian Army in die Schuhe zu schieben. Diese schnappt sich Weston, damit er umgekehrt die Liberation Front als Täter entlarve.
Es ist eine irrwitzige Geschichte, die Tade Thompson in seinem Erstling „Wild Card“ erzählt. Der englisch-nigerianische Autor und Psychiater ist in den letzten Jahren durch eine vielfach ausgezeichnete, innovative Science-fiction-Thriller-Trilogie bekannt geworden (der erste Band, „Rosewater“, ist inzwischen auch auf Deutsch erschienen). Danach wurde sein Erstling, „Making Wolf“ im Original, in England neu veröffentlicht und dadurch auch für den deutschen Sprachraum entdeckt.
Thompson schickt seinen anfänglich etwas naiven Helden in eine ebenso korrupte wie gewalttätige Gesellschaft. Bestechung ist allgegenwärtig, ohne ein Bündel Dollar bekommt man hier nichts. Sogar die Befreiungsfront will sich ihre Revolution zumindest teilweise mit Schmiergeldern erkaufen, erkennt Weston einmal leicht belustigt. In solchen Momenten wird der über weite Strecken ziemlich brutale Noir-Thriller kurz zur ironischen Satire auf Bananenrepubliken und ihre sich bekämpfenden Rebellengruppen.
Die wilde Handlung ist nicht immer vollends schlüssig, und vor allem im Mittelteil wird die Geschichte trotz aller Action streckenweise etwas zäh. Solche kleinen Mängel kennen wir von manchem Debüt. Doch das verzeiht man hier, weil die positiven Seiten überwiegen. Der Roman spielt auf originelle Weise mit dem Genre des Detektivromans. Und er nimmt uns mit in eine faszinierende Welt, deren extreme Gewalttätigkeit einen immer wieder erschaudern lässt. Das geht auch Weston so, der nur aus diesem Wahnsinn raus und zurück ins vergleichsweise beschauliche London möchte. Jedenfalls bis ihn die Möglichkeiten, die ihm seine alte Heimat bieten kann, doch zu reizen beginnen.
Wertung: 3,5 / 5
Tade Thompson: Wild Card
(Original: Making Wolf. Rosarium, London 2015)
Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebnet
Suhrkamp, Berlin 2021. 329 Seiten, 10,95 Euro/ca. 17 Franken
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Tade Thompson,
geboren 1969 in London, wuchs ab 1976 in Nigeria auf, wo seine Familie zur Volksgruppe der Yoruba gehört. Er ist in einer Familie von Literaturliebhabern aufgewachsen und las selbst schon seit der Kindheit gerne. Mit 14 begann er, eigene Geschichte zu schreiben. In Nigeria studierte er Medizin und Sozialanthropologie bevor er 1998 nach England zurückkehrte, wo er sich auf Psychiatrie spezialisierte.
Seit 2005 veröffentlichte er kürzere literarische Arbeiten. Als Autor bekannt wurde er mit der „Wormwood“-Trilogie (2016–2019), für die er mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Auf Deutsch ist bisher der erste drei als innovativ geltenden Science-fiction-Thriller erschienen: „Rosewater“ (Golkonda Verlag), der zweite, „Rosewater – Der Aufstand“, erscheint im kommenden September.
Sein erster Roman, der 2015 erstmals erschienene Thriller „Making Wolf“, der jetzt als „Wild Card“ auf Deutsch vorliegt, wurde nach dem Erfolg der „Rosewater“-Romane in England neu aufgelegt. Für kommenden Oktober ist Thompson neuer Roman „Far from the Light of Heaven“ angekündigt.
Ausser einem Jahr in Samoa lebt Tade Thompson seit 1998 in England, zurzeit im Süden des Landes. Neben dem Schreiben ist er als Psychiater tätig.