Wer den Kreml herausfordert, riskiert sein Leben
Der erste Satz
Saschas Augen sassen in einem dicken Kopf, der rund war ein Topf, und er musterte Arkadi wie jemanden, der an seinem Elend Anteil haben könnte.
Krimi der Woche ∙ N° 25/2021 ∙ Hanspeter Eggenberger
Zwei Bären sind aus einem Zoo in Moskau ausgebüxt. Oder wurden freigelassen. Die Zoodirektorin wollte nicht die Polizei rufen, aber sie bat ihren Bruder um Hilfe, der seinen Partner, den Ermittler Arkadi Renko, mitbrachte. „Arkadi war ein Ermittler für Spezielle Fälle, und wenn ein Bär, der im Herzen Moskaus frei herumlief, kein spezieller Fall war, wusste er nicht, was einer war.“
Das mit den Zoobären kriegt Renko in den Griff. Mit echten Bären in der sibirischen Einöde wird es später schwieriger. „Die Spur des Bären“ heisst der neunte Thriller mit Arkadi Renko von Martin Cruz Smith. Vor 40 Jahren hat der inzwischen 78-jährige amerikanische Bestsellerautor diese Figur geschaffen, die ihn zum internationalen Star machte: „Gorky Park“ war ein weltweiter Bestseller, die Verfilmung mit William Hurt als Arkadi Renko lief rund um die Welt.
Der Thriller spielte in der Zeit des Kalten Krieges. In Abständen von bis zu acht Jahren liess Cruz Smith weitere Abenteuer von Arkadi folgen; der neue Krimi ist der neunte der Serie. Mit der Reihe zeichnet er auch ein Bild der Entwicklung des Landes von der damaligen Sowjetunion bis zum heutigen Russland. Seine Kritik packt er dabei gerne mal in ätzenden Sarkasmus, etwa wenn es im neuen Buch heisst: „In Anerkennung dessen, dass der Staat ohne ihn zusammenbrechen würde, gab es für den Präsidenten die Option, ewig zu leben. Das musste man sich vorstellen. Ewig leben mit Putin.“
Mit dem Regime, für das er arbeitet, hat auch der über die Zeit irgendwie alterslos geblieben Arkadi seine Mühe. Er weiss, wer den Kreml herausfordert, riskiert, umgebracht zu werden. Aber er will seine Fälle wirklich klären. „Die hohe ‹Aufklärungsrate› der russischen Mordermittler verdankte sich einem Rechtssystem, das sich weniger auf Beweise und mehr auf Geständnisse verliess. Aus einem unschuldigen Betrunkenen ein Geständnis herauszuprügeln, war einfacher, als es einem nüchternen Mörder zu entlocken.“ Das zeigt sich auch in Sibirien, wo Arkadi einen Tschetschenen verhört, der angeblich einen Staatsanwalt, Arkadis Vorgesetzten, erschiessen wollte.
In Sibirien sucht Arkadi auch nach seiner Freundin Tatjana, einer kritischen Journalistin, die sich von ihrer Reportage über einen Oligarchen und Kremlkritiker nicht mehr meldet. Und schon bald stecken er und seine Freunde in einem gnadenlosen Überlebenskampf in der eisigen Kälte des sibirischen Winters, wo Scharfschützen ebenso lauern wie hungrige Bären.
Cruz Smith erzählt seine aktuelle Arkadi-Story gewohnt schnörkellos, in nüchternem Ton und mit trockenem Humor. Er weiss, dass eine gute Geschichte keine billigen Mätzchen braucht, und vertraut ganz auf den spannenden Plot.
Wertung: 3,7 / 5
Martin Cruz Smith: Die Spur des Bären
(Original: The Siberian Dilemma“, Simon & Schuster, New York 2019)
Aus dem Englischen von Rainer Schmidt
C. Bertelsmann, München 2021. 268 Seiten, 16 Euro/ca. 23 Franken
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Martin Cruz Smith,
geboren 1942 als William Martin Smith in Reading im US-Bundesstatt Pennsylvania, ist der Sohn einer amerikanischen Ureinwohnerin und eines Jazzmusikers. Er besuchte die Germantown Academy in Philadelphia und studierte dann an der University of Pennsylvania, wo er 1964 mit einem BA in kreativem Schreiben abschloss.
1965 bis 1969 arbeitete Smith als Journalist. Anfang der 1970er begann er Romane zu schreiben. Er begann mit Western, die er unter dem Namen Jake Logan publizierte. Eine sechsteilige Romanserie um „The Inquisitor“, einen Geheimagenten im Vatikan, veröffentlichte er 1974/75 unter dem Namen Simon Quinn. Weitere Romane schrieb er als Nick Carter und als Martin Quinn sowie unter seinem wirklichen Namen Martin Smith. Sein Roman „Nightwing“ (1977; Deutsch: „Flügel der Nacht“, 1979) wurde unter der Regie von Martin Hiller verfilmt.
Starruhm erlangte er, nun als Martin Cruz Smith, mit dem 1981 erschienenen Roman „Gorky Park“, der ein internationaler Bestseller wurde. Dazu trug auch die erfolgreiche Verfilmung von 1983 durch Michael Apted mit William Hurt, Lee Marvin, Joanna Pacula und Brian Dehenny bei. Den in „Gorky Park“ eingeführten Moskauer Ermittler Arkadi Renko liess er in nun 40 Jahren in acht weiteren Romanen auftreten, aktuell in „The Siberian Dilemma“ (2019), der jetzt als „Die Spur des Bären“ auf Deutsch vorliegt.
Den Namen Martin Cruz Smith legte er sich zu, weil sein Agent fand, Martin Smith sei zu verwechselbar, es wäre gut, da noch etwas beizufügen. Smith wählte Cruz, den Nachnamen seiner Grossmutter väterlicherseits. Er lebt mit seiner Familie in San Rafael in der kalifornischen San Francisco Bay Area.