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Der Vollstrecker im Reservat

Der erste Satz
Ich lehnte mich auf dem Sitz meines alten Ford Pinto zurück und lauschte dem Lärm, der aus dem Depot drang, der einzigen Kneipe im gesamten Reservat.

Krimi der Woche∙ N° 13/2022 ∙ Hanspeter Eggenberger

„Wenn es um das Recht der Weissen geht, ziehen die Natives immer den Kürzeren“, stellt der Icherzähler im Kriminalroman „Winter Counts“ von David Heska Wanbli Weiden nüchtern fest. Mit den Gesetzen und ihrer Anwendung gibt es in den Reservaten der Ureinwohner in den USA viele Probleme. Die lokale Tribal Police hat keine Kompetenz, Gewaltverbrechen zu verfolgen. Dafür ist laut Gesetz das FBI zuständig. Das interessiert sich aber in vielen Fällen nicht besonders dafür. So werden beispielsweise Vergewaltigungen, aber auch Kindsmissbrauch in der Regel gar nicht verfolgt.

Deshalb gibt es in den Reservaten private Vollstrecker, die im Auftrag von Opfern oder Angehörigen Bösewichten eine Abreibung verpassen. Virgil Wounded Horse, die Hauptfigur in „Winter Counts“, ist so ein „Auftragsprügler“: „Wenn das Rechtssystem versagte, kamen die Leute zu mir. Für ein paar Hundert Dollar übte ich in ihrem Namen zumindest ansatzweise Rache. Mein Beitrag zur Gerechtigkeit.“

Autor Weiden weiss, wovon er schreibt. Er ist zwar nicht im Rosebud-Reservat in South Dakota, aus dem seine Mutter stammt, aufgewachsen, doch auch als „Halbblut“ engagiert sich der Rechtsanwalt und Professor für Native American Studies aus Denver für die Rechte der Ureinwohner. Er tut das auch in seinem ersten Roman. Dabei doziert er aber keineswegs, sondern packt die ganzen Informationen über das prekäre Rechtsystem in den Reservaten, über die Kultur der indigenen Bevölkerung der USA, über das Leben in einem Reservat in eine durchgehend packende und actionreiche Krimistory.

Virgil bekommt es dabei mit einer Bande von Heroindealern zu tun, die ihre Geschäfte ins Reservat ausdehnen will. Da gerät auch Virgils Neffe, dessen Vormund er ist, mitten ins dramatische Geschehen. Das Ganze wird aber nie zu einer simplen Gute-Indianer-vs-böse-Weisse-Geschichte. Im Reservat gibt es auch korrupte und kriminelle Natives.

Weidens spektakuläres Romandebüt erregte beim Erscheinen in den USA nicht nur wegen seinem politischen Subtext Aufsehen, sondern vor allem auch wegen seiner literarischen Qualität. Das mit zahlreichen Auszeichnungen bedachte Buch besticht durch einen brillanten Plot, dank dem die komplexe und tiefgründige Story mit all ihren Bezügen zur Geschichte und Gegenwart der indigenen Bevölkerung immer fesselnd bleibt und nie schwerfällig wird. Und auch immer wieder Anlass zum Schmunzeln gibt: „Er hatte sich einen dünnen Schnurrbart wachsen lassen, dessen Farbe an das Arschloch eines Hundes erinnerte.“ Zurzeit arbeitet David Heska Wanbli Weiden einem zweiten Roman um Virgil Wounded Horse.

Wertung: 4,4 / 5

David Heska Wanbli Weiden: Winter Counts
(Original: Winter Counts. Ecco, New York 2020)
Aus dem Englischen von Harriet Fricke
Mit einem Nachwort von James Anderson und einem Essay von Thomas Jeier
Polar, Stuttgart 2022. 464 Seiten, 16 Euro/ca. 24 Franken

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Bild: Aslan Chalom

David Heska Wanbli Weiden,

David Heska Wanbli Weiden, geboren 1963 in Denver, Colorado, ist Bürger der Sicangu Lakota Nation. Seine Mutter ist in der im Rosebud Indian Reservation (RIR) in South Dakota aufgewachsen, die den Schauplatz von Weidens Debütroman „Winter Counts“ bildet. Sein Indianernamen Heska Wanbli, den er im Rahmen einer traditionellen Lakota-Zeremonie, wie sie auch im Roman vorkommt, erhalten hat, bedeutet Bergadler.

Seine Eltern liessen sich scheiden, als er ein Kind war, und er wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Denver auf. Schon als Kind hat er gerne Bücher gelesen, die er vom Bookmobile bezog, einer rollenden Bibliothek, die jeden Freitag in seiner Schule vorbeikam. Nach der Schule begann er zu studieren und schloss das Sturm College of Law der University of Denver mit dem JD (Juris Doctor) in Rechtswissenschaften ab, und er promovierte an der University of Texas in Austin, Texas, in Politikwissenschaften. Für seine Ausbildung als Autor besuchte der die MFA-Programme für Creative Writing des Vermont College of Fine Arts in Montpelier, Vermont, und des Institute of American Indian Arts in Santa Fe, New Mexico.

Weiden engagiert sich für die Rechte der amerikanischen Ureinwohner. Er ist in Denver als Rechtsanwalt tätig und ist Assistenzprofessor für Native American Studies und Politikwissenschaften an der Metropolitan State University in Denver. Vor seinem Romandebüt „Winter Counts“ (2020) veröffentlichte er 2019 das Kinderbuch „Spotted Tail“ über den unter diesem Namen bekannten Lakota-Häuptling aus dem 19. Jahrhundert.

Er lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Denver. Zurzeit arbeitet er an einer Fortsetzung seines ersten Romans.


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